Der Online-Wahlkampf deutscher Parteien ist in der Regel sehr durchschaubar: Spätestens einige Wochen vor der entsprechenden Wahl relauncht Agentur X die neue Parteiseite, der oder die Spitzenkandidatin erhält neue digitale Kleider, zwei bis drei Akteure mittlerer Hierarchieebene werden dazu verpflichtet spätestens bis zum Wahltag zu twittern und eine Schar von Freiwilligen darf auf einem eigens eingerichteten Freiwilligenportal Videos online stellen. Bis zum Wahlabend stehen die Parteien diese Peinlichkeiten tapfer durch, nicht müde zu erklärend, dass es in Deutschland keinen Obama-Wahlkampf geben könnte und alles ganz anders sei. Zwei Wochen später, wenn der letzte Wahlaufruf von der Startseite beseitigt ist, geht dann alles wieder seinen normalen Gang. Der ein oder andere neue Abgeordnete hat vielleicht Spaß an Twitter oder Facebook gefunden und wird die Dienste auch weiterhin nutzen, ansonsten bleibt alles so wie vor dem Wahlkampf – ein Glück.
Mentalitätswechsel von Innen
Die Strategie der GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen ist eine grundlegend andere. Statt kurzfristigem Wahlkampfgetöse steht die nachhaltige Öffnung der Parteikommunikation im Fokus, politische Entscheidungsprozesse sollen transparent dargestellt werden und BürgerInnen leicht in den konstruktiven Dialog mit politischen Akteuren treten können. Das Internet ist für diese urgrüne Art der bürger- und basisnahen Politik ein zentrales Werkzeug.
Mit einem dreimonatigen Korsett einer externen Agentur kann eine nachhaltige Transformation der Öffentlichkeitsarbeit nicht gelingen und funktionsfähige Rückkanäle nicht erfolgreich etabliert werden. Strategie und auch die technische Realisation sind deshalb fast ausschließlich in der GRÜNEN Landesgeschäftsstelle entstanden – in enger Zusammenarbeit mit den politisch Verantwortlichen. Nur wenige Tools wurden extern realisiert, bei denen dann jedoch die langfristige Nutzbarkeit ein wichtiges Kriterium war.
Zentrales GRÜNES Online-Portal
Dreh- und Angelpunkt aller Onlineaktivitäten ist die Website des Landesverbandes, die mehreren Ansprüchen genügen muss: Konzipiert als Dialogplattform, soll sie interessierten BürgerInnen eine Kommunikation mit und über GRÜNE Politik in NRW leicht machen und Diskussionen ermöglichen. Zeitgleich erfüllt die Website Portalcharakter, da sie alle Aktivitäten und Profile im Social Web des Landesverbandes (und seiner aktiven Mitglieder!) an einer zentralen Stelle bündelt und aggregiert. Dabei dürfen aber die grundlegenden Informationen der Parteiarbeit nicht hinten runterfallen. Der im Februar erfolgte Relaunch schaffte die Grundlage dafür, beendet jedoch nicht die Entwicklungsarbeit. Die Website wird permanent weiterentwickelt, einen Entwicklungsstopp gibt es nicht.
Grüne in sozialen Netzwerken
Die Nutzung sozialer Netzwerke wurde in den letzten Jahren zu einem natürlichen Werkzeug der GRÜNEN Öffentlichkeitsarbeit. Im Wahlkampf ist dies ein ungeheurer Vorteil, da sich durch die längjährige Nutzung bereit ein Netzwerk aus Freunden und Followern entwickelt hat. Die Glaubwürdigkeit darf an dieser Stelle auch nicht unterschätzt werden, denn die GRÜNEN NRW nutzen diese Kanäle um ernsthaft zu kommunizieren (nicht um ihre Pamphlete zu verbreiten) und das auch über den 9. Mai hinaus. Ob Facebook, Twitter, YouTube, FlickR oder StudiVZ – die GRÜNEN bewegen sich in den sozialen Räumen ihrer Wählerinnen und Wähler. Nicht nur um Freunde zu sammeln, sondern weil es neue Möglichkeiten eröffnet. Jedes genutzte Portal erfüllt dabei einen spezifischen Zweck.
Grüne Meinungsführerschaft im Netz
Der GRÜNE Anspruch an die eigene Online-Kommunikation ist es nicht auf fahrende Züge aufzuspringen, sondern vielmehr die Züge ins Rollen zu bringen. Das dieser Anspruch auch bei den politischen Spitzenakteuren fest verankert ist, zeigt das Grüne Männermanifest, welches exklusiv im Blog der GRÜNEN NRW veröffentlicht worden ist. Durch das Blogsystem ist automatisch ein Rückkanal für Diskussionen gegeben, was für die Entscheidung das Mannifest im Blog zu veröffentlichen ausschlaggebend war. Mehrere hundert Kommentare, Berichterstattungen in sämtlichen Print- und Onlinemedien und direkte Backlinks von Spiegel Online erkennen die Glaubwürdigkeit GRÜNER Online-Kommunikation an.
Schnelligkeit der Kommunikation
Das Internet hat die Kommunikation erheblich beschleunigt, dies müssen auch politische Akteure zur Kenntnis nehmen. Auch Spitzenakteure müssen sich auf einen Kontrollverlust des Nachrichtenflusses einlassesn, sie haben lediglich die Wahl ob sie komplett die Kontrolle verlieren oder bei einem „kontrollierten Kontrollverlust“ mitgestalten wollen.
Durch die langfristige und tiefe Verankerung der Online-Strategie, sind Entscheidungszyklen und Bewusstsein für eine schnelle Reaktionsfähigkeit ausgelegt.
Permanentes Social Media Monitoring und Auswertungen der zahlreichen Rückkanäle ermöglichen es uns, schon früh Trends und Stimmungen der (Online-)Bevölkerung zu identifizieren und gegebenenfalls darauf zu reagieren.
Authentizität
Alle Anstrengungen im Online-Bereich sind vergebens, wenn die Glaubwürdigkeit fehlt. Nutzt man Profile in den sozialen Medien nur als weitere RSS-Schleuder und verweigert sich jeder Kommunikation, werden diese Angebote schnell als Wahlkampfgetöse entlarvt und das Interesse daran bleibt gering.
Authentizität in der Kommunikation und die langfristige Präsenz in sozialen Netzwerken machen sich bezahlt: Sowohl auf Facebook, als auch auf Twitter haben die Grünen NRW die größte Reichweite aller etablierten Landesparteien.
Die Selbstverständlichkeit im Umgang mit den neuen Medien zeigt sich auch beispielhaft an den Landesparteitagen. Als einzige Partei bieten wir für jeden Parteitag eine eigene Microsite inklusive Blog, Livestream und FlickR-Integration an. Delegierte nehmen am Videocounter eigene Botschaften auf, es wird natürlich viel getwittert und die Ausstattung mit Twitter-Wall und freiem W-Lan für alle ist besser (und stabiler!) als auf einigen Barcamps.
Spezielle Tools zur Landtagswahl
Auch wenn grundsätzlich sämtliche Tools über den Wahlkampf hinaus bestehen sollen, sind einige speziell auf die Zeit des Wahlkampfes beschränkt. Dazu gehört die Möglichkeit über das Tool „Mein Plakat“ ein Grünes Großflächenplakat zu spenden und NRW zu begrünen. Bis zum Ende der Buchungsfrist wurden so über 300 Großflächen von UnterstützerInnen und Mitgliedern gespendet.
Das aus der Europa- und Bundestagswahl bekannte „Drei Tage Wach“ wird in einer erneuerten und verbesserten Version die letzten 72 Stunden des Wahlkampfes begrünen – wieder stehen GRÜNE rund um die Uhr bereit, die Fragen der WählerInnen zu beantworten. Sämtliche Prominenz auf Landes- und Bundesebene hat auch einen Stopp zu „Drei Tage Wach“ eingeplant, für ein interessantes Programm im Livestream ist damit gesorgt.
Datenschutz – nicht nur fordern, sondern auch umsetzen
Die politischen Forderungen der GRÜNEN nach mehr Datenschutz und Selbstbestimmung über die eigenen Daten werden auch praktisch umgesetzt. Das Mit-Mach-Tool „Meine Kampagne“ genügt höchsten datenschutztechnischen Ansprüchen, der Benutzer hat jederzeit volle Kontrolle über seine Daten und kann zu jeder Zeit Daten löschen oder den Zugriff beschränken. Dies ist in Deutschland einmalig für ein Tool dieser Art.
Die eigenen Plattformen stehen dem in Nichts nach. Auf den Einsatz externer Tracking-Tools wie Google Analytics wird verzichtet, stattdessen wird eine Open-Source-Alternative eingesetzt. Serverseitig und in jedem einzelnen Tool ist die Speicherung der IP-Adressen deaktiviert, selbst Mailadressen werden z.B. im GRÜNEN Blog nur md5-codiert gespeichert und sind für uns nicht einsehbar. Um den größtmöglichen Datenschutz zu gewährleisten, wir der Landesverband von einem geprüften Datenschutzbeauftragen beraten.
Benjamin Müller ist Webmaster beim Landesverband NRW der Grünen. Dort entwickelt und betreut er Internetseiten und Online-Wahlkämpfe.
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