Early Voting auf hessisch

Der Termin stand schon seit längerem im offiziellen Landtagswahlkalender des hessischen Landeswahlleiters Wolfgang Hannappel:

22. Dezember 2008: Beginn der Briefwahl (Briefwahlunterlagen können von den Gemeinden ausgestellt werden, sofern keine Beschwerden gegen die Zulassung oder Nichtzulassung von Kreiswahlvorschlägen eingegangen sind).

Mit dem Ablauf der Frist für Beschwerden gegen die Zulassung oder Nichtzulassung von Kreiswahlvorschlägen ist es nun erstmalig möglich, seine Stimme für die Landtagswahl am 18. Januar 2008 abzugeben. Dies ist zum einen durch die Beantragung der Briefwahlunterlagen von daheim aus möglich, zum Anderen vor Ort in den Rathäusern, die bereits Wahlurnen für die vorzeitigen Wähler bereit halten.

Durch das Bundeswahlgesetz sowie durch die Bundeswahlordnung und die Wahlgesetze der Länder (Landeswahlgesetz / Landeswahlordnung) ist es in Deutschland nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen besonderer Gründe erlaubt, nicht am Wahltag im Wahllokal vor Ort zu wählen. Diese Gründe können sein:
1. Abwesenheit vom Wahlbezirk aus wichtigem Grund
2. Die körperliche Unfähigkeit, das Wahllokal aufzusuchen

3. Sonstige schwerwiegende Verhinderung.

In der hessischen Landeswahlordnung ist dies in §13 Abs. 2 geregelt: „Der Antragsteller muß den Grund für die Ausstellung eines Wahlscheines glaubhaft machen.“

In Deutschland ist der als „early voting“ bezeichnete Vorgang noch wenig beachtet. Dabei kommt es durch die Möglichkeit der vorgezogenen Stimmabgabe letztlich zu einer Verlängerung des Wahltages.

In den USA wurde das Phänomen jüngst im Rahmen der Präsidentschaftswahl genauer unter die Lupe genommen. So etwa durch das „Early Voting Information Center“ (http://earlyvoting.net).

Währenddessen fehlen in Deutschland immer noch zuverlässige Zahlen zu den Anteilen der Briefwähler. Bekannt ist nur, dass die Zahl in den letzten Jahren steigt. Immer mehr Wähler nutzen die Chance, unabhängig vom Wahltag ihre Stimme abzugeben.

Auf Bundesebene sieht die Steigerung seit 1990 folgendermaßen aus:

briefwaehler

Zum Vergleich: 1957 waren es nur 4,9 Prozent.

Letztlich könnte man daraus die These formulieren, dass der Kandidat, der es schafft in der letzten Umrage vor der Ausgabe der Stimmzettel vorne zu liegen, große Chancen hat, die unentschlossenen Briefwählerwähler auf seine Seite zu ziehen. Die Umfragen haben kognitive Effekte auf die Wähler. Ein bisheriger SPD-Sympathisant könnte zu der Überzeugung kommen, dass seine Stimme bei einer Partei die derzeit in den Umfragen bei 22-25 Prozent herum dümpelt falsch angelegt ist und deshalb seine Stimme einer anderen Partei geben. Sollte er in der „heißen“ Wahlkampfphase im Januar zu der Erkenntnis kommen, dass  diese Einschätzung falsch war, kann er sein Votum nicht mehr umkehren.

Im konkreten Fall könnte dies bedeuten, dass die in den nächsten Wochen eingereichten Briefwahlunterlagen das aktuelle Stimmungsbild wiederspiegeln. Diese Stimmen kann der Kontrahent Thorsten Schäfer-Gümbel nicht mehr zurück holen, selbst wenn er nach Weihnachten einen regelrechten Sympathieaufschwung erleben sollte.

Im Gegensatz zu den USA, ist in Deutschland aber nichts über die Briefwähler bekannt, das heißt die Parteikampagnen können bestimmte Wählergruppen nicht gezielt in- bzw. exkludieren.
Doch auch hierzulande wäre es interessant genauere Informationen auf folgende Fragen zu erhalten:
1. Welche Altersgruppen nutzen am stärksten die Möglichkeit der Briefwahl?
2. Sind signifikante Unterschiede zwischen den Briefwahlergebnissen und den Urnenwahlergebnissen zu bemerken?
3. Wie hoch ist der Anteil der Wähler, die keine Briefwahlunterlagen beantragen, aber bereits vorzeitig im Rathaus wählen gehen? (Hierrüber gibt es keine Zahlen, auch nicht auf Nachfrage beim statistischen Landesamt.)

6 Gedanken zu „Early Voting auf hessisch

  1. Mindestens eine weitere Frage ist von zentraler Bedeutung:
    Wann werden die Briefwahlunterlagen ausgefüllt bzw. abgegeben? Wirklich schon Wochen vor dem Wahltermin oder erst am Wahltag. Sprich: Ist der Wähler wirklich verhindert (bei fast 20% Beirfwahl-Anteil wohl eher unwahrscheinlich), oder hat er einfach keine Lust im Wahllokal anzustehen?

    Im übrigen gestaltet sich das gezielte Ansprechen von Briefwählern durch Parteien juristisch heikel: Vermutlich steht schnell der Vorwurf im Raum, die Wähler würden zum unberechtigten (weil kein schwerwiegender Grund vorliegt) Ausstellen der Briefwahlunterlagen gedrängt, was streng genommen einen Verstoß gegen das Wahlgesetz darstellen würde.

  2. Ich denke mit dem gezielten Ansprechen meint Malte eher eine zeitliche als unbedingt eine direkte Ausrichtung.

    Wenn ich 3-4 Wochen vor der Wahl eine andere Ausrichtung des Wahlkampfes – ob nun für bestimmte Gruppen oder komplett – vornehme als unmittelbar vor der Wahl, dann kann ich das schon ziemlich genau steuern. Ich kann direkt beeinflussen, welche Informationen die Briefwähler bei ihrer Wahl berücksichtigen und welche nicht. Wenn ich das jetzt mit Wissen über die Nutzer der Briefwahl verbinde, können sich da sehr nützliche Effekte ergeben.

  3. „Der Antragsteller muß den Grund für die Ausstellung eines Wahlscheines glaubhaft machen.”

    Muss man da irgendwo vorstellig werden und sich erklären oder genügt, die Aussage „ich kann aus wichtigen Gründen nicht“, weil man ja an dem Tag unbedingt ein Bier trinken will?

    Ich finde, da wir keine Wahlpflicht haben (was ich persönlich gar nicht mal schlecht fände…), muss man doch froh sein, dass die Leute überhaupt wählen wollen – wann sie das wie machen ist mir herzlich egal – hauptsache sie machen ihr Kreuz!!

  4. muss man doch froh sein, dass die Leute überhaupt wählen wollen – wann sie das wie machen ist mir herzlich egal – hauptsache sie machen ihr Kreuz!!
    Ganz so einfach ist das leider nicht. Ein zentraler Grundsatz ist, dass die Wahl geheim stattfinden muss. Das ist bei einem Briefwahlzettel, der am heimischen Wohnzimmertisch ausgefüllt wird, zweifellos nicht gewährleistet.
    Ich selbst tue mich mit der Frage aber auch sehr schwer. (Ich merke, schon: es wird Zeit für einen eigenen Blogeintrag zu dem Thema).

    Zu meinem letzten Kommentar: Ich war in der Tat eher von expliziten early-voter-campaigns nah amerikanischem Virbild ausgegangen. Ich könnte mir aber dennoch vorstellen, dass diejenige Partei, die als erstes öffentlich die Potentiale von early voters erforscht, von der Gegenseite dafür mit den genannten Argumenten kritisiert würde.

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