Bisher wurde YouTube von Politikern eher als neuer Vertriebskanal wie das Fernsehen verwendet. Entweder verarbeitete man bereits vorhandenes Material, veröffentlichte Werbespots oder Presseansprachen einfach noch ein weiteres mal online. Oder es wurde bereits speziell für YouTube produziert – doch unter Beibehaltung der alten Regeln. Dass aber YouTube vor allem vom Dialog und der direkten, ernst nehmenden Ansprache des Zuschauers lebt, das hatte die Politik noch nicht begriffen.
Thorsten Schäfer-Gümbel
Thorsten Schäfer-Gümbel räumt mit diesen Missverständnissen auf, er kann ja auch jeden Grad Bekannheit so kurz vor der Wahl noch gut gebrauchen. 50.000 Abrufe hatte seine Aufforderung zum Video-Dialog innerhalb von 4 Tagen, mittlerweile sind es 55.216. Dazu hat sicherlich das Medienecho beigetragen, vor allem der Artikel von SpiegelOnline dürfte einige Besucher aufmerksam gemacht haben. Auch wenn man dort nicht sonderlich begeistert ist:
Thorsten Schäfer-Gümbel ist kein Mann des höflichen Vorgeplänkels. Er kommt lieber direkt zur Sache. „Am 18. Januar 2009 sind Sie erneut zur Wahl des hessischen Landtags aufgerufen. Damit zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres“, spricht er sachlich in die Kamera. Dann senkt er seine Stimme. „Dieser Wahlgang ist überschattet von der großen Debatte um den Wortbruch.“
„Ich will sagen“, fährt er leicht stockend fort, „dass wir einen großen Fehler als hessische SPD gemacht haben.“ Ausgerechnet in diesem Moment knarzt im Hintergrund unüberhörbar eine Tür.
Doch der Politiker lässt sich nicht aus dem Takt bringen, der „große Fehler“, erklärt er weiter, sei gewesen, „eine Tolerierung der Linkspartei im vergangenen Jahr auszuschließen und es anschließend doch zu versuchen.“
„Das hat Enttäuschung hervorgerufen“, stellt Schäfer-Gümbel fest. Wieder knarzt die Tür.
Trotz aller Häme der professionellen Medien, die über der angeblichen Unprofessionalität ausgegossen wird – bei den Zuschauern kommt es an. Schäfer-Gümbel hatte die Nutzer zum Dialog aufgerufen, und ihnen nicht einfach nur irgendeine Botschaft vorgelesen. Er hatte das Angebot unterbreitet, dem Spitzenkandidaten kritische Fragen zu stellen, ob zu Inhalten oder Personen. Diese Fragen wollte er in einem weiteren Video dann beantworten. Die Zuschriften dazu müssen gewaltig gewesen sein. In einem zweiten Video zeigt sich der SPD-Spitzenkandidat begeistert von den zahlreichen Fragen und musste mehr Zeit für sich und sein Team erbitten.
Und die Antworten kamen, Schäfer-Gümbel beantwortete gewissenhaft und ausführlich. Auf Grund der vielen Fragen habe man sich entschieden, vorerst nur eine Auswahl davon in der geplanten Form aufzugreifen. Vielmehr werde man in den verbleibenden Wochen zur Wahl thematische Videos zu den einzelnen Themenkomplexen hochladen.
Bisher ist davon noch nichts zu sehen, das letzte Video im Kanal der SPD Hessen ist die Neujahrsansprache des Kandidaten. 2 Wochen vor der Wahl wird es langsam Zeit, die geschuldeten Antworten noch zu liefern.
Die CDU von Roland Koch
In der Zwischenzeit entdecken auch die anderen Parteien die Möglichkeiten von YouTube, wenn auch längst nicht so weitreichend und konsequent wie die SPD. Bei der CDU von Roland Koch ist die junge Generation für die mediale Berichterstattung im Internet zuständig, im eigens dafür aus der Taufe gehobenen Webcamp09. Und die CDU-Spitze füttert die Jugend auch zuverlässig mit exklusiven Interviews, Meinungen und zuletzt sogar einem Video-Chat mit dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten Roland Koch. Als Speicherort für die Videos dient auch hier YouTube, allerdings setzen die Webcamper zur Verbreitung wohl mehr auf ihren eigenen Blog, als auf ihren Kanal beim Videoportal.
Roland Koch selbst bietet auf seiner Internetseite schon länger einen eigenen Podcast. Leider sind hier hauptsächlich Interviews oder Redenmitschnitte zu sehen, außerdem gibt es keinerlei Interaktionsmöglichkeiten. Im Wahlkampf selbst wird der Seite wohl nicht viel Aufmerksamkeit zu Teil.
Die anderen Parteien
Von einem Dialog sind auch die anderen Parteien weit entfernt, wenn es überhaupt nennenswerte Aktivitäten auf YouTube gibt. Die Grünen scheinen in den letzten Wochen aufgewacht zu sein und stellen immer mehr Videos ins Netz. Tarek Al-Wazir ist mit Weihnachts– und Neujahrsansprache vertreten, forderte zuletzt erst Roland Koch zum Duell. Seine Mit-Spitzenkandidatin Kordula Schulz-Asche beginnt sogar ein Video-Tagebuch, auch wenn der erste Eintrag extrem knapp und nicht gerade ein guter Einstieg ist.
Absolut unverständlich ist bei den Grünen das Fehlen eines gemeinsamen Kanals der Grünen Hessen, auf dem alle von ihnen in diesem Wahlkampf veröffentlichten Videos zu sehen sind. Stattdessen muss der Nutzer so kryptische Namen wie Candide1979 oder ascant1989 abonnieren. Dabei gibt es durchaus einen YouTube-Kanal von gruenehessen, aber wenn der leer ist hat ja vielleicht jemand die Zugangsdaten vergessen. Im Kanal der Landtagsfraktion tut sich seit einem Jahr nichts mehr. Also verschenken die Hessen-Grünen lieber zahlreiche Zuschauer, indem sie ihre Videos nicht gebündelt zugänglich machen.
Die FDP und die Linke Hessen haben immerhin eigene Kanäle, aber außer einem neuen Wahlkampfspot der Linken ist auf beiden Kanälen nichts aktuelles zu sehen. Aktive YouTube-Nutzung sieht anders aus.
Fazit
Der Videodialog von Thorsten Schäfer-Gümbel ist wohl die beste und konsequenteste Nutzung des Internets in der deutschen Politik überhaupt. Die Nutzer nicht nur direkt, ehrlich und offen anzusprechen, sondern sie auch noch zum Dialog aufzufordern, zeugt von einem Verständnis und einem Respekt gegenüber den Internetnutzern, der absolut positiv stimmen muss. Dass die anderen Parteien da nicht mithalten können, war angesichts der Neuartigkeit und Durchschlagskraft nicht anders zu erwarten. Vielleicht überzeugt aber gerade diese YouTube-Nutzung die Parteien von CDU bis LINKE davon, das Internet eben nicht nur als neuen Vertriebskanal, sondern als Gesprächsmöglichkeit in beide Richtungen zu begreifen.
In einer weiteren Serie zur Hessenwahl 2009 untersucht Homo Politicus die Nutzung von Sozialen Netzwerken durch die fünf im Landtag vertretenen Parteien. Neben dem zum Auftakt vorgestellten Mikro-Blogging-Dienst Twitter wurden noch die Sozialen Netzwerke von Facebook bis „Wer kennt wen?“ betrachtet, bevor hier nun auf YouTube eingegangen wurde.
YouTube wurde dabei nach den Namen der Spitzenkandidaten sowie Parteinamen durchsucht. Verwertet wurden nur offizielle Angebote der Parteien. Sollte ein Angebot fehlen, würden wir uns über einen Hinweis in den Kommentaren freuen.
Tja da bist du mir wohl schon wieder zuvorgekommen. Respekt was Du aus deinem Blog machst. Dazu fehlt mir leider auch etwas technisches Know-How. Zum Wahlkampf 2.0 werde ich demnächst dann wohl auch mal wieder bloggen. Interesse an einem Interview?
Vielen Dank für das Lob. Wir sind übrigens zu Zweit, mein Studienfreund Malte hat den Blog gegründet und ich bin erst seit ein paar Monaten dabei.
Interesse an einem Interview? Klar, schreib uns einfach mal eine mail@homopoliticus.de.
Wir (GRÜN) kommen langsam aber dafür gewaltig :-)
Anscheinend sind unsere Anmerkungen zumindest bei den Grünen tatsächlich nicht einfach so verhallt. Im Beitrag gestern noch kritisierten wir, dass die Grünen nicht alle ihre Wahlkampfvideos zusammen packen – und heute haben sie es getan:
http://www.youtube.com/user/hessengruen
Dabei kommt leider das ein oder andere Datum abhanden, die Weihnachtsansprache stammt jetzt eben vom 5. Januar 2009
Es fehlen auch immer noch die Videos von Kordula Schulz-Asche, da kann Harald Fischer aber sicherlich noch etwas dran machen.
ich hatte mit langsamer gerechnet
Thorsten Schäfer-Gümbel hat seine erste Themenantwort zu Bildungsfragen veröffentlicht. Leider etwas kurz, dafür aber mit einem schönen Beispiel die durchgehenden Verbesserungen erklärt. Besser hätte es mir aber gefallen, wenn er direkter auf Fragen eingegangen wäre, und wenn es nur exemplarisch gewesen wäre.
Heute morgen haben es die Grünen endlich geschafft, das Videotagebuch von Kordula Schulz-Asche in ihren eigenen Kanal zu packen. Zwei Tage vor der Wahl, Respekt.
http://www.youtube.com/user/hessengruen