Die Empörung war riesig, als der Spiegel am Wochenende einen Artikel veröffentlichte, nach der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers Gesprächsminuten mit Unternehmen verkauft haben soll.
„Für 20.000 Euro können Kunden demnach ein sogenanntes Partnerpaket für den Parteitag kaufen, das neben einem rund 15 Quadratmeter großen Stand auch „Einzelgespräche mit dem Ministerpräsidenten und den Minister/innen“ verspricht. Für 14.000 Euro bietet die Partei eine Ausstellungsfläche von zehn bis 15 Quadratmetern an. Eine vertrauliche Unterredung ist für diesen Betrag allerdings nicht mehr drin, sondern nur noch ein „Fototermin und Rundgang mit dem Ministerpräsidenten und den Minister/innen“.“
In der Saarbrücker Zeitung bezeichnete selbst sein Parteifreund und Bundestagspräsident Norbert Lammert das Sponsorenschreiben als „politisch selten dämlich.“
Bereits einen Tag später entschuldigte Jürgen Rüttgers für das Parteitagssponsoring (auch hier berichtete der Spiegel). Doch damit war der Fall noch nicht beendet, sondern erreichte erst am Montagmorgen mit dem Rücktritt des CDU-NRW Generalsekretär Hendrik Wüst seinen Höhepunkt.
Wie zu erwarten wird dessen Rücktritt im Internet sehr unterschiedlich aufgenommen.
Vor allem die Internetangebote der klassischen Tageszeitungen überschlagen sich einmal mehr vor Überschriftenkreativität: „Das Ende des jungen W.„, „Rent a Rüttgers!“ und „Wüst in der Wüste„.
Die ZEIT berichtet derweil vom „Absturz einer Nachwuchshoffnung„.
Besonders in den gerade angelaufenen Wahlkampfblogs der politischen Gegner wurde der Fall genüßlich zerissen. So macht die SPD darauf aufmerksam, dass der WDR, in Zusammenhang mit Rüttgers, bereits 2004 über einen ähnlichen Fall berichtet hat:
„Es ist nicht das erste Mal, dass über die CDU in NRW und CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in Zusammenhang mit fragwürdigen Praktiken im Sponsoring berichtet wird. Bereits 2004 (!!!) berichteten das WDR-Fernsehpolitikmagazin „Westpol“ über “Händeschütteln und Smalltalk mit Jürgen Rüttgers“ und das WDR5-Radiomagazin Westblick über „Eine neue Hintertür bei der Parteienfinanzierung“.“
Die Grünen sprechen derweil – in Anspielung auf frühere mehr oder weniger große Skandale, in die Wüst verwickelt war – von der „Chronik der VerWÜSTung„.
„Die rechte Hand von Jürgen Rüttgers hat in den letzten Monaten einiges verbockt. Die Liste seiner Verfehlungen ist beachtlich lang (und bestimmt nicht vollständig): Es begann mit der Videoüberwachung von Wahlkampfveranstaltungen der Opposition, dann wurde seine Krankenversicherungsaffäre im letzten Dezember bekannt und jetzt noch der Verkauf von Audienzen beim NRW-Ministerpräsidenten auf dem CDU Parteitag in Münster. Zusätzlich leistete sich Wüst (im nicht politischen Leben ist er Jurist) sich auch noch Rechtstreitigkeiten durch unzulässigen Entlassungen in der CDU-Zentrale. Sein heutiger Rücktritt war längst überfällig!“
Auch der WDR berichtet auf seiner Website über die „Pannen-Serie des Hendrik Wüst„. Jedoch berichtet der WDR auf seiner Website auch darüber, dass es schon längst keine Ausnahme mehr darstelle, wenn Firmen kostenintensive Standplätze auf Parteitagen mieten („Wie Unternehmen Parteitage (mit-)finanzieren„).
„Etwa ein Zehntel der Kosten eines Parteitages werde durch die Werbestände finanziert, schätzt Ralph Sterck, Hauptgeschäftsführer der NRW-FDP. Je nach Länge und Tagungsort würde ein Parteitreffen 50.000 bis 150.000 Euro kosten. Dirk Borhart, Pressesprecher der NRW-SPD, schätzt die Kosten für eine Zusammenkunft seiner Partei auf 200.000 bis 300.000 Euro. Die Grünen hat ihr zurückliegender Parteitag 60.000 Euro gekostet.“
Und auch bei Grünen und SPD ist kaum ein Parteitag zu finden, auf dem man nicht bereits im Eingangsbereich von zahlreichen Firmenständen empfangen wird. Über Sponsoren auf Parteitagen der Grünen wurde etwa schon an anderer Stelle gebloggt.
Auch das Handelsblatt berichet auf seiner Website (mit einer interessanten Überschrift) von der üblichen Praxis, Parteitage durch Firmensponsoren mitzufinanzieren: „Klamme Parteien nerven die Wirtschaft„.
„Ob Wahlkampf, Parteitag oder Direktspende: Die Unternehmen können sich kaum noch retten vor den Bettelbriefen der Politik. Wenige nutzen das, viele fühlen sich erpresst. Für die Parteien aber ist es der neue Königsweg der Eigenfinanzierung.“
Ein wenig Ordnung in die Diskussion bringt Andrea Roemmele vom Politik nach Zahlen-Blog der ZEIT:
„Halten wir also fest: Verwerflich ist nicht die Spende. Verwerflich ist die Gegenleistung, die von der CDU in NRW angeboten wurde, nämlich der Gesprächstermin in kleiner Runde. Diese Praxis hebelt demokratische Gleichheitsgrundsätze aus – auch in diesem Blog wurde bereits darauf hingewiesen, dass Spenden von juristischen Personen einen Beigeschmack haben. Gepaart mit der Möglichkeit, in einem Gespräch direkten oder indirekten Einfluss auf Regierungshandeln nehmen zu können, ist dieses System hochgradig bedenklich.“
An anderer Stelle wird wir der Vorgang weitergehend sogar als Verstoß gegen das Parteienrecht gesehen.
Wie in der Blogosphäre meldeten sich auch bei Twitter vor allem Politiker von SPD und Grünen zu Wort.
Steffi Lemke (Bundesgeschäftsführerin der Grünen):
„Zehn Wochen vor einer Wahl den Wahlkampfleiter raus schmeißen zu müssen zeugt von inneren Zerfallserscheinungen. #NRW#CDU“
UlrichKelber (MdB aus Bonn):
„Rüttgers hat Wüst vermutlich gar nicht entlassen, sondern ihn verkauft :-)“
Die CDU meldete sich derweil nur mit einem einzigen und überaus kurzen – dafür für die SPD umso schmerzhafteren – Beitrag in ihrem Wahlkampfblog zu Wort.
„Artikel aus der Bildzeitung zum Thema “Auch die SPD bot Politiker-Treffen an”.“
Bildquelle: Screenshot Spiegel ONLINE.