Gastbeitrag von Björn Klein als Nachtrag zur Papstrede vor dem Bundestag
„Wir sind Papst“ skandierte es während des viertägigen Papstbesuchs 2011 mal wieder in Deutschland. Doch anders als 2005 und ein zweites Mal 2006 zum Weltjugendtag in Köln reiste der Papst offiziell als weltlich-politisches Staatsoberhaupt des Staats der Vatikanstadt nach Deutschland. Wer allerdings erwartet hatte, dass er nicht als geistiges Oberhaupt der katholischen Kirche sondern als Staatsmann auftritt, kennt die absolute Monarchie des Vatikans schlecht.
Das Regierungssystem des Vatikans besteht aus zwei interdependenten Systemen, die den absolutistisch herrschenden Papst bei der Ausübung seiner Macht unterstützen: der Heilige Stuhl als geistliches System und der Staat der Vatikanstadt als weltlich-politisches Regierungssystem. Seit 1929 gibt es diese zwei verwaltungsmäßig voneinander getrennten Regierungsapparate im Vatikan. Beide institutionell getrennten Systeme vereinen sich im päpstlichen Oberhaupt. Doch dass eine Differenzierung schier unmöglich ist, zeigt die unklare Trennung von Religion und Politik bei der Akkreditierung des Vatikans als Staat: der Heilige Stuhl – als eigentlich religiöses Regierungssystem – gilt als das anerkannte Völkerrechtssubjekt in der UN, und nicht der Staat der Vatikanstadt.
So kommt dann ein Oberhaupt mit einer geistlichen und weltlich-politischen Doppelfunktion nach Deutschland und wird auch noch vom Bundestagspräsidium bzw. dessen Ältestenrat dazu eingeladen, vor dem Plenum des Deutschen Bundestags zu sprechen. Eingriff in die Religionsfreiheit schreien die einen, Verletzung des Grundgesetzes und der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags die anderen. Etwas weniger als 100 Bundestagsabgeordnete verweigern sich der Rede, indem sie nicht an der Plenarsitzung teilnehmen.
Weder das Grundgesetz noch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags regeln das Rederecht vor dem Plenum eindeutig. Dennoch ist das Rederecht in der Regel für einen ausgewählten Kreis vorgesehen, der die Abgeordneten des Bundestags, die Bundesregierung und den Bundesrat sowie ihre Beauftragten einschließt (geregelt durch die Rechtsprechung zu Art. 38 GG). Darüber hinaus gibt es keinerlei Regelung, in welchen Fällen Nicht-Parlamentarier vor dem Bundestag sprechen dürfen.
Am 18.09.1951 legte Arthur Woodburn, Leiter einer Delegation von britischen Parlamentsabgeordneten, den Grundstein für etwas, was man 2011 als politische Konvention beschreiben könnte. Es gehört zum guten Ton des deutschen Parlamentarismus, gelegentlich hochrangige Staatsgäste vor dem Plenum des Parlaments sprechen zu lassen (vgl. bundestag.de für eine Übersicht der nicht-parlamentarischen Redner vor dem Plenum des Deutschen Bundestags). Und, schaut man mal über die Liste, findet man gleichfalls Redner, bei denen eine klare politische und damit nicht-religiöse Zuordnung schwer fällt.
De jure sprach der Papst als ein weltlich-politisches Staatsoberhaupt, de facto aber auch als das geistliche Oberhaupt der katholischen Kirche. Die Frage nach der Legitimität der Papstrede mit rechtlichen Bedenken zu beantworten und von einer Verletzung der Religionsfreiheit (Art. 4 Absatz 1, 2 GG) auszugehen, ist so nicht haltbar. Die Rede des Papstes, sei es als Staatsmann oder religiöses Oberhaupt, war weder in die reguläre Tagesordnung des Bundestages noch in eine parlamentarische Entscheidungsfindung integriert. Vielmehr stellt sie einen symbolischen Akt dar, der den Papst als Oberhaupt von in allen Teilen der Welt zusammengenommen 1,2 Milliarden Katholiken (Stand: 2009) anerkannte.
Akzeptiert man also die rechtliche Unbedenklichkeit einer Papstrede vor dem Plenum des Deutschen Bundestags außerhalb der regulären Tagesordnung und der parlamentarischen Entscheidungsfindung, sollte man ebenso einsehen, dass man dem geistigen Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken durchaus einmal zuhören sollte.