Quo vadis, Online-Wahlkampf in Deutschland

Über den Online-Wahlkampf in Deutschland ist viel geschrieben worden. Zu Beginn einer jeden Legislaturperiode äußern sich Kritiker, Onliner, Wissenschaftler und belegen, dass es mal wieder nicht geklappt hat mit dem vorbildlichen Online-Wahlkampf. Gerade hat politik-digital.de dazu eine gute Übersicht mit Blick auf das Jahr 2014 veröffentlicht, die ich hier auch zusammen gefasst habe. Ich will das ganze noch etwas zuspitzen und erklären, warum es dennoch lohnt, weiter daran zu arbeiten. Nicht, um den nächsten Obama (BuzzWord #1) zu finden und auch nicht, um mit einer gelungenen Netz-Kampagne die nächsten 10% an Stimmen zu sammeln. Sondern um wieder mehr Menschen für Politik zu interessieren, was mit keinem anderen Werkzeug so gut funktionieren kann, wie mit dem Internet. 3 Thesen:

1. Online-Wahlkampf ist der falsche Begriff,
es geht um Online-Politikvermittlung

Wahlkampf kennt jeder von uns, die Plakate an den Straßenrändern und Bahnsteigen, die Kugelschreiber und Sonnenschirme in den Innenstädten – bei uns in Hessen sind das eher Schneeschirme, weil wir konsequent im Winter wahlkämpfen – und die unzähligen Ortstermine in Stadthallen, Dorfgemeinschaftshäusern und Bierzelten. All das ist absolut gut und richtig. Menschen zur Wahl zu motivieren, auf den letzten Metern von seinen Positionen zu überzeugen, gehört zu den Grundwerten der Demokratie. Wissenschaft und Umfrageinstitute bestätigen das, Wahlentscheidungen werden immer später gefällt, es gibt viel weniger Lagerbildung als noch zu Zeiten Willy Brandts. Wie auch, wenn die CDU die Energiewende ein bisschen voran treibt und die Grünen an gerechteren Steuerkonzepten arbeiten. Es ist gewissermaßen ein Wohlstandsproblem der deutschen Demokratie in den letzen zwanzig Jahren, wenn es weniger glasklare Parteipräferenzen gibt. Und wenn Wähler von der CDU zur SPD wandern, wenn Grün-Wähler aus Frust Linkspartei wählen und andere zu Hause bleiben, weil ihnen die Wahl nicht mehr wichtig genug erscheint – natürlich zählen dann eben die letzten 6-8 Wochen vor einer Wahl. Seine Ziele klar formulieren, für Unterstützung werben und dafür alles geben, das gehört zur Politik dazu.

Aber mir scheint, dass diese Kampagne nicht so recht in das Internet passen will. Wenn es nicht gerade um die Verfolung von Joseph Kony, Katzenbilder oder Bilder von russischen Dashcams geht, ist das Internet nicht sonderlich nachhaltig. Wie auch, wenn annähernd 4 Milliarden Menschen online sind, allein mehr als 1,3 Milliarden davon auf Facebook. Die Interessen sind zu vielfältig, die Zielgruppen ebenfalls. Und es kommt dazu, dass politisches Interesse im Internet zu bekunden in Deutschland nur bedingt populär ist. Vergleicht man das mit anderen Ländern, gibt es durchaus Unterschiede. Wie viele der eigenen Freunde sind Fan einer Partei-Seite, wie viele davon sind Partei-Mitglieder? Wie sollen dann in den heißen 4 Wochen vor der Wahl politische Botschaften durch das Netz verbreitet werden, wie sollen Themen gesetzt und Debatten angestoßen werden? In der dritten These werde ich noch etwas näher darauf eingehen, wie (und ob) politische Öffentlichkeit derzeit funktioniert. Schauen wir uns die Kritik an den vergangenen Online-Wahlkämpfen auf Bundesebene an, lässt sich das schnell belegen: Die Bürger wurden nicht eingebunden, nicht aktiviert, das Setzen von Themen über Meldungen, über Profil-Bilder auf Facebook, über geteilte Kampagnen hat immer nur in geringem Maße funktioniert.

Lukas Böhm hat in dem bereits erwähnten politik-digital.de Artikel einen Satz geschrieben, der genau das wiedergibt. Zur (ersten) Online-Kampagne von Barack Obama (#2) meint er:

„Selbst Obama hat seinen legendären 2008er Wahlkampf nicht im Internet gewonnen, da ist sich die Wissenschaft weitgehend einig. Wichtiger waren die Hausbesuche bei gezielt ausgewählten WechselwählerInnen, über die die Demokraten riesige Datenbanken besaßen. Big Data also, nicht Facebook.“

Eine Diagnose, die um so mehr für den zweiten, für den Wiederwahl-kampf gilt. Natürlich konnte Obama auch Themen setzen, konnte seine Agenda zum Gegenstand der öffentlichen Debatten auch im Netz machen. Aber fragen wir uns mal ganz ehrlich, gab es dafür nicht auch inhaltlich in Amerika deutlich mehr Potenzial als bei uns? Eine Krankenversicherung haben wir, in teuren und schwer zu vermittelnden Auslandeinsätzen beteiligen wir uns nur bedingt und unsere politische Kaste in Berlin ist sicher deutlich weniger korrupt und selbstgefällig als im schillernden Washington. Obamas Versprechen des „Change“ bewegte Menschen, dann bewegt es sie auch online. Und trotzdem: Obama hat nicht online die Wahl und seine Wiederwahl gewonnen, sondern in den Datenbanken, die seine Unterstützer bestens ausgerüstet an die Haustüren schickten. „Big Data also, nicht Facebook“.

Ich glaube, dass es bei all dem, was wir als Online-Wahlkampf bezeichen, viel mehr um Politikvermittlungen gehen sollte. Wir haben das in der Antwortzeit bei unserer Arbeit für die hessischen Grünen immer so begriffen. Weniger neue, hippe Features, sondern mehr Basics. Wir wollen erst einmal verständlich erklären können, was wir eigentlich wollen. Kurzprogramme, politische Infografiken zum Wahlsystem – viel zu oft hatten die Kampagnen gerade im Bund mehr Geld für iPhone-Apps und eigene soziale Netzwerke übrig, anstatt erst einmal Personen und Programm gebührend vorzustellen. Wenn man den Bürgern schon nicht erklären kann, wen man wofür wählen soll, wie will man sie dann begeistern?

Und dazu braucht es mehr als 4, 6 oder 8 Wochen. Zu erklären, was man als politische Partei erreichen will, warum man das bessere Konzept für die nächsten 4 oder 5 Jahre hat und warum die eigenen Kandidaten dafür am Besten geeignet sind, das ist eine Aufgabe für 4, 6 oder 8 Monate. Das schöne am Internet ist, dass man genau diese Zeiträume dort bespielen kann. Jedenfalls besser und günstiger, als ein halbes Jahr lang Anzeigen in (Online-)Zeitungen und an Straßenecken zu buchen.

2. Wir brauchen keine Digital Natives in der Politik, aber sie helfen

Wenn man wieder die neuesten Features in einem Wahlkampf sucht, das eine Instrument, dass den Unterschied gemacht hat, fehlten uns in Deutschland oft die Politiker die das umsetzen konnten. Blogs in den frühen 2000er Jahren (und jetzt wieder), Facebook und Twitter einige Jahre danach. Zugegeben, da haben deutsche Politiker nicht immer eine gute Figur gemacht – oft war das unbeholfen und ging an den Anforderungen des Mediums vorbei. Und klar, es gibt die jüngeren Leute, die mit den immer neuen Medien auch immer besser umgehen können. Jüngeren Politikern geht es leichte von der Hand, über Twitter zu informieren, was sie gerade tun, Diskussionen suchen sie geradezu. Nicht von der Hand zu weisen, dass das in der politischen Vermittlung im Internet hilft. Aber es gibt auch große Gegenbeispiele – man muss nur an Peter Altmaier und viele andere denken, die ihre Kindheit ohne 56k-Modems und ihre Jugend ohne Online-Foren verbracht haben. Auch die haben es gut hinbekommen und offensichtlich auch mehr oder weniger Spaß dabei gehabt.

Online-Kommunikation ist dabei, wie so oft, gar nicht so unterschiedlich zu der „echten“, „Mensch-zu-Mensch“-Kommunikation. Die gleichen Politiker, die offen auf Leute zugehen können, am Marktplatz-Stand oder in der Kneipe in wenigen Sätzen erklären können, was sie wollen und warum – genau die können das auch online. Das Interesse an den Bürgern und ihren Meinungen ist kein elementares Grundprinzip des Internets, es gehört vielmehr zu jedem guten Politiker dazu.

Man muss an dieser Stelle auch mal eine Lanze für unsere Politiker brechen. Viele, wirklich ein großer Teil von ihnen macht einen großartigen Job mit 80-Stunden-Wochen, 3 freien Wochenenden und einem 2-wöchigen Wanderurlaub im Jahr. Anders als die Peter Gauweilers in diesem Land reiben sie sich auf, gehen nach dem Abgeordneten-Job noch auf Parteitage, in Kreisverbände und mitten rein in die Zivilgesellschaft. Weil sie etwas antreibt, sie Ziele haben, die sie verwirklichen wollen. Solche Politiker sind es, die auch online erfolgreich kommunizieren können. Sie können vermitteln, was sie antreibt und die Bürger erkennen dies an. Und genau für diese Vermittlung ist das Internet das perfekte Medium. Wie sonst soll man mitbekommen, was einer von mehr als 600 Bundestagsabgeordneten die ganze Zeit tut, die Zeitungen berichten schließlich höchstens ausschnittsweise.

Die Generation von jungen Politikern, die wir schon zu den Digital Natives rechnen können, macht das vielleicht im Schnitt besser. Es machen mehr von ihnen mit im Netz, sie sind an den Umgang damit gewöhnt. Deshalb nach mehr Digital Natives in der Politik zu rufen, ist aber verkürzt. Es geht nicht um das Geburtsdatum oder das Beitrittsjahr bei Facebook, sondern um das Interesse am Bürger, den man vertritt. Wenn dann auch die nicht mehr ganz jungen Politiker einen kompetenten Referenten, ein netzaffines Kind oder selbst eine gesunde Neugier haben, können auch sie Online richtig machen.

3. Junge, wir haben ganz schön ‚was aufzuholen

Die dritte These sind eigentlich zwei Thesen, die zusammen gehören. Einmal geht es um das Interesse der Bürger, das – hier wieder der Verweis auf den politik-digital.de-Artikel – im Auge vieler Wahlkämpfer und Politiker einiges zu Wünschen übrig lässt. Zum anderen müssen wir beim Thema Online leider auch über Geld reden. Geld, dass im Wahlkampf für Leuchtturmprojekte verpulvert wird und in den restlichen Jahren fehlt.

Im politik-digital.de-Artikel, der mich erst zum erneuten Nachdenken über dieses Thema brachte, wird über eine brisante Studie berichtet. Darin heißt es:

„Sie [Die Bürger] haben schlicht kein Interesse daran, mit politischen Angeboten im Netz zu interagieren. Zudem finden die User es auch gar nicht schlimm, wenn sie erst gar nicht die Möglichkeit haben, mit den Parteien in Kontakt zu treten. Wie bitte? Es hieß doch immer, das mit dem Online-Wahlkampf klappt nur deshalb nicht, weil es zu wenige Mitmach-Angebote der Parteien gibt. „

Was für eine Aussage, ein Schlag ins Gesicht für jeden Kritiker der bisherigen Online-Wahlkämpfe, die nach immer mehr Dialog und Beteiligung gerufen haben. Aber genauso für die Wahlkämpfer selbst, die in Townhalls und Hangouts die Zukunft der Politik sahen. Dabei haben eigentlich beide recht: Die Studie, weil sie diagnostiziert, dass das politische Interesse in Deutschland nicht das ist, was wir kennen. Egal, ob die Studie nun keine quantitative Methoden anwendet und daher nur bedingt als allgemeinverbindlich angesehen kann: Schauen wir uns in unserem Bekanntenkreis um, bei denen, die nicht Mitglied einer Partei sind. Gibt es dort wirklich ein Interesse an Politik? Oder geht es nur um vereinzelte politische Inhalte? Selbst im gutbürgerlichen Umfeld, zwischen ZEIT-Lesern und Uni-Absolventen kann man diese Frage nicht so schnell beantworten, wie man es sich wünscht. Und wie groß ist der Bevölkerungsanteil, den man so beschreiben kann?

Aber es haben eben auch die Wahlkämpfer recht. Politik braucht mehr Beteiligung, und ja, das klappt eben auch im Internet viel einfacher und für (fast) jeden erreichbar. Jetzt auch noch über Online-Partizipation ausführlich reden zu wollen, würde zu weit führen, aber auch hier verkürze ich auf die Aussage: Dialog und Beiteiligung sind wichtig und sollten bereits jetzt mehr gefördert werden. Gleichzeitig aber muss bei der Bevölkerung erst einmal überhaupt Verständnis und Interesse für Politik geweckt werden. Ohne das werden letztendlich auch alle Hangouts keinen Fuß auf den Boden bekommen.

Und damit kommen wir zum zweiten Teil der These: Wir müssen über Geld reden. Natürlich ist das ein Thema, dass man als Inhaber einer Agentur gerne anspricht, aber das ist nicht der Punkt. Die Budgets von Online-Kampagnen in den vergangenen Wahlkämpfen sind schwer zu bestimmen – manchmal gehörten die Online-Werbebudgets dazu, manchmal haben sich Agenturen vielleicht etwas zu gut bezahlen lassen. Die Konsequenz aus diesem Text aber wäre, viel mehr auf die Budgets zwischen den Wahlen zu schauen. Wenn man wirklich die Bürger erstmal (wieder?) für Politik begeistern muss, ihr Interesse an den Zusammenhängen wecken und ihnen vermitteln, wie sehr politische Entscheidungen ihren Alltag beeinflussen und wie viel Einfluss sie darauf haben – dann kann das eben nicht mitten im Wahlkampf passieren.

Es geht viel mehr um die Vermittlung von Politik dann, wenn Politik passiert: In der Legislatur, in den Ausschüssen, in Enquete-Kommissionen (rund um die Enquete Digitale Gesellschaft ist da beispielsweise viel Gutes passiert). Und machen wir uns keine Illusionen, das können die Abgeordneten nur bedingt selbst leisten. Es braucht mehr Mitarbeiter, die sich nur mit der Vermittlung beschäftigen, sogar unabhängig von den Medien. Eine ausführliche Zeitungs-Story über die Arbeit eines Abgeordneten kann genau so helfen, wie ein kontinuierlich geführtes Blog. Bisher ist dafür zu wenig Geld und Bewusstsein da. Das meint nicht, dass das Internet weniger Geld bekommt als die „klassische“ Kommunikation. Denn nochmal: es geht dabei nicht um die Kanäle. Der Grundgedanke der bürgernahen, in verständlicher Sprache betriebenen Kommunikation, gehört in jede Fraktion und in jeden Landes- oder Bundesverband.

tl;dr

  1. Habt den Mut, Politik immer und immer wieder zu erklären. Vor dem Wahlkampf, im Wahlkampf und auch danach (zum Beispiel während der Koalitionsverhandlungen).
  2. Ermuntert jeden Abgeordneten dazu, seine spannenden Arbeit und das was ihn antreibt mehr in die Öffentlichkeit zu rücken. Kommuniziert nicht nur über die brennenden Themen des Nachrichtentages, gerade das Internet bietet euch jede Menge Platz dafür.
  3. Stellt den Politikern Mitarbeiter an die Seite, die genügend Zeit und Begeisterung mitbringen, um sowohl im Netz, als auch auf Papier und im Fernsehen immer wieder um Aufmerksamkeit zu ringen.
  4. Sagt euch los von den verkürzten Online-Wahlkampf-Betrachtungen der letzten Jahren. Es geht nicht um das Tool, es geht nicht mal um Online an sich. Und schon gar nicht geht es um die 6 Wochen vor der Wahl. Wirklich wirksame Politikvermittlung ist, geklaut bei Max Weber, das Bohren (sehr) dicker Bretter.

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