Die Hessenpartei und ihre Ostereier

Mit einem Paukenschlag wollte die hessische CDU zum Vorreiter in der hiesigen politischen Internetbespielung werden. Eine neue Seite wurde präsentiert, die wirklich gestalterisch ein gewaltiger Sprung nach vorne ist. Eine große Bilderbühne prägt die neue Startseite und die dort platzierten Motive werden wohl nicht immer so albern aussehen wie zu Ostern. Auch weiter präsentiert sich die Seite aufgeräumt, die Textwüsten der vergangenen Jahre scheinen nun auch bei der Hessen-CDU out zu sein. Die Seiten für Programme und Köpfe wurden wie wild zusammengestrichen und verkleinert und sind daher richtig gut zu lesen.

Bei der Gestaltung selbst fällt sicherlich die Frische auf, alles wirkt lebendiger und entstaubter, mindestens 20 Jahre jünger. Die neue Internetseite scheint sozusagen das „Peter Beuth“-Projekt zu sein. Aber bei einer so großen Verjüngung bleibt manchesmal die Identität mit auf der Strecke – da muss das Design von Plakaten, Faltblättern und Dutzenden anderer Veröffentlichungen der hessischen CDU erstmal nachziehen. Sonst bleibt es nur bei den Ankündigungen, „Vorreiter in Sachen Politik und Netz zu werden“ (Beuth). Dazu gehört übrigens auch ein neuer Werkzeugkasten namens „Eine Partei ein Netzwerk„, dessen inhaltlich luftleerer Name ebenso wenig über seine Funktion aufklären kann wie sein Internetauftritt. Homepage-Baukasten sind doch wohl nicht der Gipfel neuer Politikwerkzeuge im Internet?

Den großartigen Auftritt jedenfalls ruinierte sich die hessische CDU gleich selbst – mit dem österlichen „Schwulengate“. Pitt von Bebenburg berichtet in der FR:

Ein Osterhase begrüßt die Nutzer der neuen CDU-Homepage und lehnt lässig an einem Osterei. Generalsekretär Peter Beuth sagte zum Start des Projekts: „Wir haben uns ganz unbescheiden vorgenommen, Vorreiter in Sachen Politik im Netz zu werden.“ Doch mit ihrem neuen Internet-Auftritt legte sich die Partei erst einmal selbst ein Ei ins Nest.

Die organisierten Lesben und Schwulen in der CDU ärgerten sich über die neue Homepage. Ihr Verband, die LSU („Lesben und Schwule in der Union“), war zunächst nicht mehr aufgeführt. Am Dienstag wurde das nachgeholt.

Doch damit nicht genug, der Opposition war auch ein Weiteres ein Dorn im Auge. Kai Klose schrieb auf  Twitter:

Bei Hessens Union herrschen Staatspartei-Allüren wie weiland in der DDR: www.hessen-partei.de #hlt #cdu

Und in der Tat scheint die babylonische Domain-Verwirrung immer noch ein politisches Alleinstellunsgmerkmal zu sein. Während die SPD im vergangenen Bundestagswahlkampf mit annähernd 20 Domains für alle möglichen und unmöglichen Anlässen protzen wollte, schafft die hessische CDU ganz ohne Not eine weitere Domain. Ob man in Zukunft die bayerisch anmutende Hybris, sich als einzige Partei des ganzen Landes zu sehen, gar für Werbekampagnen benutzen möchte, oder ob man nur die Serverlandschaft nicht mit einem großen Ruck umstellen wollte – er hätte glücklicher laufen können, der Relaunch von cdu-hessen.de.

Medienzukunft auf Abruf

„Das Internet wird das Fernsehen ablösen, wenn auch nicht in den nächsten drei bis vier Jahren“ sagte Markus Kavka am Montag auf einer Soirée der NRW School of Governance. Eine steile These eines Mannes, der mit dem Fernsehen berühmt und inzwischen zum Grenzgänger der Medienwelten geworden ist. Für MySpace moderiert er im Netz, das ZDF lässt sich von ihm das Internet in die Mattscheibe tragen.

Auch die Zukunft der Zeitungen sieht Kavka nicht im alten Format: „In zehn Jahren wird es keine gedruckten Tageszeitungen mehr geben.“ Man muss sich nur die Diskussionen der vergangenen Wochen ansehen, um ihn nicht mehr als Solisten zu sehen. Der Internet-Chor besingt gemeinsam das noch nicht einmal vorgestellte iTablet von Apple. Auf Carta schreibt Wolfgang Michal: „Das iTablet könnte das definitive Ende des Gutenberg-Zeitalters bedeuten.“ Ulrike Langer verweist in ihren Medienlinks auf den österreichischen Journalisten Georg Holzer, der im kommenden Jahr ein ehrgeiziges Projekt starten will, das eindeutig inspiriert ist von der Vision des Internettabletts als neuem Medienträger. Eine „Tageszeitung für die digitale Wissensgesellschaft“ will er herausgeben und damit das „Beste aus digitaler und analoger Welt“ vereinen.

Internet die bessere Zeitung?

In der Tat bietet ein multimediales Tablett spannende Perspektiven für das Format Zeitung. Aktueller wäre man allemal, denn die Nachrichten auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit wären nicht die Nachrichten vom Vorabend, sondern kämen frisch aus den Redaktionen. Dazu könnte man gleich die schon entstanden Diskussion der anderen Zeitungsleser verfolgen, die sich unaufdringlich aber einfach zu erreichen am rechten Rand des breiten Bildschirms aufreiht. Über Verweise und Links könnte man Hintergrundinformationen zum Artikel bekommen oder sich die ursprünglichen Quellen ansehen. Der Blick zum weiteren Angebot des Anbieters wäre ohnehin nur einen Fingerdruck entfernt.

Irgendwie kommt man nicht um den Gedanken herum, dass die Möglichkeiten des Internettabletts gar nichts so neues sein können. Links und Diskussionen gibt es schon auf jeder besseren Zeitungsseite im Netz, auf Blogs gehören sie schlicht zum guten Ton. Und auch das in der Vorführung von SportsIllustrated so faszinierend umgesetzte multimediale Erlebnis mit Videos und Statistiken, erklärenden Grafiken und Illustrationen, ließe sich bereits heute im Internet umsetzen. Doch verwirklicht wird es kaum.

Sind Tablet-PCs die Zukunft?

Einen großen, fast unschätzbaren Vorteil böte das Tablett jedoch in der Zugänglichkeit von Informationen. Es könnte gewissermaßen die Informationsfülle des Internets mit optischen Anleihen bei den bekannten gedruckten Magazinen aufbereiten und durch Multimedia aufwerten. Nicht zu vergessen die hardwareseitigen Gewinne des extrem handlichen und leichten iTablets. Mit 10 Zoll soll es fast so breit sein wie ein DIN A4 großer Briefbogen. Doch ob das wirklich reicht für eine massenhafte Verbreitung? Immerhin hat eine herkömmliche Zeitung keinen Akku, der womöglich nach 4-5 Stunden intensiver Nutzung aufgibt. Eine Zeitung kann man zusammenfalten und in die Aktentasche oder in den Mantel stecken, sie kann herunter fallen und nicht zerbrechen. Man kann auf dem Frühstückstisch Marmelade und in der Garage Motoröl darauf verteilen, ohne ein kleines Vermögen zu verlieren.

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Etwas einfacher scheint da der Weg für eine Ablösung des ausgestrahlten Fernsehens zu sein. Schon heute gibt es Geräte wie das Apple TV, über das man Filme und Musik herunterladen und genießen kann. Auch hochgerüstete Spielekonsolen bieten Zugänge zu Filmportalen im Netz an und sind nicht weit vom neuen Herzstück des heimischen Fernseherlebnis entfernt. Denn bei diesen Geräten wurde einfache Bedienung (und funktionierende Bezahlmodelle) in eine Technikumgebung eingepasst, die sich problemlos mit dem digitalen Zuhause versteht.

Um aber das Fernsehprogramm über Satellit, Kabel und Antenne wirklich ablösen zu können, fehlt noch ein wenig Anpassung an die alltäglichen Sehgewohnheiten. Es fehlt eine plattformübergreifende Lösung für Live-Sendungen wie das omnipräsente Wetten dass..? oder das sonntagabendliche kollektive Tatort-Erlebnis. Auch die im Fernsehen oft so primitiv gelöste Interaktivität über Anrufe beim Sender ist noch nicht ausreichend im Netz abgebildet.

Was bietet das Internet fürs Fernsehen?

Völlig fehlen aber die eigentlichen, netzspezifischen Vorteile einer kreativen Multimediaplattform für das Wohnzimmer. Während das neue heute-Studio des ZDF schon mit beeindruckenden bis beängstigenden Animationen wirbt, lässt sich in keiner Nachrichtensendung von Hand Zusatzmaterial auswählen oder bestimmte Abschnitte überspringen.

Wer vermag zu sagen, wie lange gewisse Entwicklungen noch auf sich warten lassen. Während beim TV nur noch ein wenig Programmierarbeit zu fehlen scheint, ist es doch gerade die einheitliche oder verbindende Plattform, die eine große Hürde darstellt. Im Zeitungsbereich brechen gerade Neuentwicklungen auf, die große Revolution einzuläuten. Doch auch hier wird noch viel Arbeit nötig sein.

Man kann den Medienhäusern nur mit auf den Weg geben, den Weg ins Internet auch im Einklang mit den Interessen der Leser und Zuschauer zu beschreiten. SportsIllustrated beispielsweise baut in ihrem Demonstrationsfilm eine Funktion ein, mit der man als Leser beliebige Inhalte an seine Freunde und Bekannte in sozialen Netzwerken wie Facebook weitergeben kann. Georg Holzer möchte ebenfalls seine Inhalte von den Lesern weitergegeben sehen und verzichtet daher auf ein Rechtemanagement mit DRM.

Holzer kalkuliert übrigens dennoch mit einem einträglichen Geschäftsmodell, denn soziale Verknüpfungen und Bezahlmodelle müssen sich nicht ausschließen – weder bei der Zeitung noch beim Fernsehen der Zukunft.

Medienzukunft auf Abruf

Hat Markus Kavka also recht? Klar ist, dass das Internet mit einiger Entwicklungsarbeit durchaus das heimische TV-Gerät ebenso ersetzen kann wie die alltägliche Zeitungslektüre. Doch es ist ebenso klar, dass die Leser und Zuschauer nur ungern ihre Gewohnheiten verändern werden, wenn sie viele Nachteile davontragen. Erst wenn die Veränderung wenig Nachteile aber umso mehr Vorteile mit sich bringt, wird diese Medienrevolution stattfinden. Es scheint, als läge Kavka mit seinen 10 Jahren dabei gar nicht so schlecht.

Bilder: Screenshots Apple, YouTube

Einmal Zukunft und zurück

Bereits nach dem ersten Tag des Personal Democracy Forum („Technology is changing politics“) muss man sich als deutscher Konferenzteilnehmer mit der Frage auseinandersetzen, was bei uns derzeit alles falsch läuft.

Schon in der Begrüßungsrede rief Andrew Rasiej die Regierungen auf, entschieden gegen eine Zensur im Internet zu arbeiten. Mehrfach griffen auch andere Redner das Thema auf und teilten bewusst Seitenhiebe nach Europa aus. Gemeint war damit sicherlich auch Deutschland, das derzeit gefährlich Entwicklungen in dem Gebiet zeigt. Vielen Referenten und Teilnehmern scheint es aber auch nicht bewusst zu sein, welche Netzpolitik zur Zeit in Deutschland gemacht wird.

dana boyd stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob jemand überhaupt Social Network Sites benutzt, sonder nur noch um die Auswahl aus dem reichhaltigen Angebot von MySpace bis Facebook.

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boyd, die genauso wie die beiden anderen Hauptacts des heutigen Tages Jeff Javis und David Weinberger ihr Können als Rednerin bewies, sprach deshalb zum Thema „Zweiklassengesellschaft in Social Network Sites“ anhand der beiden Plattformen Facebook und MySpace. Sie betonte innerhalb ihres Vortrages inbesondere, dass es keine „universelle Onlineöffentlichkeit“ gibt. Die Ursache dafür kann in der räumlichen Trennung der Social Network Sites gesehen werden. Während es bei der Email-Kommunikation egal ist, ob Freunde und Bekannte über Hotmail oder Yahoo miteinander kommunizieren entstehen durch Social Network Sites in den meisten Fällen räumlich von einander abgeschnittene Communitys. Für Deutschland besonders interessant: In diesem Gedankengang wird die vielfach postulierte „Netzcommunity“ wiederlegt.

Für die Konferenzteilnehmer nett war natürlich auch die Rede von New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, der über Skype ins Auditorium geschaltet war und von Andrew Rasiej interviewt wurde.

So plauderten beide über Iphone-Apps für Einwohner und Touristen und auch eine Verbindungsunterbrechung wurde völlig problemlos und locker von den Gesprächspartnern hingenommen. Insgesamt fiel vor allem auf, dass Bloomberg als Bürgermeister weiß wovon er spricht und niemand dies für eine Besonderheit, sondern vielmehr für selbstverständlich hielt.

Den Rest des Tages füllten etliche weitere Sessions, die viele neue Erkenntnisse brachten. Doch erst der letzte Programmpunkt, verschiedene thematische Brainstormings, verdeutlichten endgültig den Unterschied zwischen US-amerikanischer und deutscher Netzpolitik. Zusammen mit vier weiteren Teilnehmern wurden Ideen zum Thema „international politics“ ausgetauscht. Und während in Deutschland derzeit verzweifelt alles daran gesetzt wird, Politiker und Bürger über das Internet in Kontakt zu bringen, ist dieser Schritt in den USA schon Schnee von gestern. Vielmehr überlegt man den Schritt weiter, wie Netzkommunikation zwischen verschiedenen Regierungen und noch viel spannender zwischen Regierungen und einer ausländischen Bevölkerung möglich werden. Ein konkretes Beispiel wäre, wie man es ermöglichen könnte, dass die deutsche Bevölkerung mit der US-amerikanischen Regierung kommuniziert? Eine für uns Deutsche wahnwitzig klingende Idee, die hier völlig ernsthaft diskutiert wird.

Wenn es danach geht, scheinen wir in Deutschland noch mitten in der Steinzeit zu stecken und erst langsam das Werkzeug zu entdecken, während in den Vereinigten Staaten mit dem weiterentwickelten Werkzeug inzwischen Eisen bearbeitet wird. Während man in Deutschland immer wieder Barack Obama und seinen Internetwahlkampf  wie eine Monstranz vor sich her trägt, zeigte sich bereits am ersten Konferenzkonferenztag das wahre Interesse der deutschen Parteien an dem Thema. Denn die deutschen Teilnehmer lassen sich mit Leichtigkeit an einer Hand abzählen.  Nachdem Joe Rospers (Obama ’08) mit der Frage „How many republicans are here today?“ und nur wenigen Meldungen die Lacher auf seiner Seite hatte, müsste man die Frage auch nach der Anzahl der deutschen Teilnehmer stellen bzw. noch besser der deutschen Parteimitarbeiter. Denn nirendwo würden sich so viele Tipps und Ideen sammeln lassen wie direkt vor Ort, aber die deutsche Parteielite ist derweil allen Anschein noch damit beschäftigt, das Netz zu filtern und Blogger zu verklagen.

Brave old world…

Bild: flickr Phil Hawksworth

Zwei Wochen nach der Hessenwahl

Die Wahllokale sind schon eine Weile geschlossen und die vor Kraft strotzende FDP hat der CDU immerhin 3 ganze Ministerien abgerungen. Die Amtsträger aller Parteien waren nach den Wahlen vollauf beschäftigt. Die Einen mussten in wohl eher freundschaftlichen Verhandlungen einen Koalitionsvertrag vereinbaren, die Anderen ihre mehr oder minder großen Wahlerfolge verarbeiten. Bleibt da noch Zeit für das Stiefkind Internet? Was ist nach dem ersten Onlinewahlkampf 2009 noch zu sehen, wer nutzt die neuen Möglichkeiten auch über den Wahlkampf hinaus?

Am Wahlabend selbst machte sich für Netzaffine Wähler der erste Unmut breit angesichts der offensichtlichen Prioritätenverschiebung unter Zeitdruck: Keinerlei Stellungnahmen oder Jubeleien auf den offiziellen Internetauftritten der Parteien. Man war wohl noch zu beschäftigt, je nach Ergebnis betreten oder euphorisch in die Kameras der übermächtigen alten Medienlandschaft zu schauen.

Eine Haltung, die offensichtlich nicht mal nur mit dem Zeitdruck, sondern mit einer binären Notwendigkeitsdefinition zusammen hängt. Entweder es ist Wahlkampf, dann tun wir aber bitteschön mal was im Internet. Muss man ja auch mittlerweile, das allgegenwärtige Mantra des Barack Obama verpflichtet geradezu. Und dann gibt es da die Zeit nach der Wahl, in der man sich offensichtlich eher über das errungene Landtagsmandat und die möglicherweise im Vergleich zu vorherigen Bezügen üppigen Saläre Gedanken macht. Bestes Beispiel sind mal wieder die im hessischen Internetwahlkampf 2009 eher glücklos agierenden Grünen, auf deren eigens geschalteter Programmseite „Jetzt aber Grün“ noch immer zur Wahl aufgerufen und mit Pressemitteilungen vom 17. Januar informiert wird.

bildschirmfoto-2009-01-31-23-14-47Scheinbar glaubt man den Wahlkampfauftritt im Internet schon vergessen zu haben, sobald man die Umleitung der Domain www.gruene-hessen.de auf diese wieder gelöscht hatte. Immerhin, auf der offiziellen Seite bedanken sich die Grünen bei den Wählerinnen und Wählern und geloben einen konsequenten Einsatz für grüne Inhalte.

bildschirmfoto-2009-01-31-23-37-29Dabei macht die grüne Spitzenkandidatin Kordula Schulz-Asche mit ihrem engagiert genutzten Twitter-Account vor, dass auch Grüne in Hessen verstehen können, wie das Internet auch nach der Wahl genutzt werden kann. Nach leichten Anlaufschwierigkeiten kommuniziert sie mittlerweile – in über 100 Tweets allein nach der Wahl – wie losgelöst mit den verschiedensten Lesern. Auch wenn ihr spät im Wahlkampf dazu gekommenes Blog dem noch etwas hinterher hinkt (letzte Aktualisierung am 20. Januar), so viel Kontinuität über Wahlkampfzeiten hinaus macht Hoffnung auf mehr.

Von Twittergates und Koalitionsvereinbarungen

Auch der prominenteste Hessenpolitik-Twitterer Thorsten Schäfer-Gümbel ist nach der Wahl aktiv, kommt aber weder bei Authentizität noch bei der Nachrichtenzahl an die grüne Schulz-Asche heran. In den letzten Tagen leistete er sich gar einen kleinen Faux-pas, der Diskussionen über die Beteiligung der Online-Agentur aufkommen lies. Ob man nun der hastigen Richtigstellung und den Besserungsgelobnissen für klarere Kennzeichnung folgt oder nicht, es zeigt sich mal wieder, wie empfindlich die Web- und vor allem Twittergemeinde bei der Glaubwürdigkeit von Netzpolitikern ist. Dieses ‚Twittergate‘ wird wohl auch ein Gesprächsthema bei der Essenseinladung sein, die TSG als etwas konstruiert wirkende Marketingaktion seinem 2014. Follower versprach. Die glückliche Gewinnerin Birgit Hoff wird als EmmaPeel_ hoffentlich von dem Treffen berichten.

bildschirmfoto-2009-02-01-00-21-49Ein Glaubwürdigkeitsproblem wie das des Schäfer-Gümbel kam bei den CDU-Twitterern gar nicht erst auf, da man den Internetwahlkampf in der Landesgeschäftsstelle gleich komplett an das jungdynamische webcamp09 auslagerte. Vermuten könnte man nun, dass die Jugendlichen auch nach der Wahl noch genügend Zeit haben, eine wie auch immer geartete Nachberichterstattung zu liefern. Diese Erwartung wird allerdings nur in Ansätzen erfüllt, was wohl auch an der eben nicht mehr ganz so großen Zahl von Beteiligten liegen mag. Die Restbelegschaft des webcamp hat sich nach eigenen Aussagen dann doch lieber zum Feiern frei genommen, das scheinbar einige Tage Nachwirkungen aufzuweisen hatte. Zur Koalitionsvereinbarung ist das webcamp09 nun aber wieder da und man darf gespannt sein, wie die Mannschaft den Schritt vom Wahlkampfvehikel zum Organ der Regierungsfraktion meistert.

Hoffnung auf mehr

So dürftig das politische Engagement im Internet nach der Wahl auch aussehen mag, gemessen an der Ausgangslage ist es in jedem Fall erfreulich. Dass Kordula Schulz-Asche und Thorsten Schäfer-Gümbel weiter twittern, war möglicherweise zu erwarten – aber keineswegs als sicher zu betrachten. Wie der gesamte vergangene Internetwahlkampf in Hessen ist auch die post-campaigning Nutzung des Webs durch die bekannten Akteure nur ein Anfang, zeigt aber auch die ein oder andere erfreuliche Überraschung. Vielleicht wird ja das webcamp09 nach seiner nun anstehenden Rollenfindung eine solche werden.

Das Netz hat gewählt

01-18_17-30-03_zdfinfokanal_wahl-im-web-01-19-01-58-33In den Maßstäben der sonst so kritischen Twitter-Gemeinde war die Rückmeldung zur Sendung „Wahl im Web“ des ZDF schon überwältigend gut. Etwas mehr als zweieinhalb Stunden hatte Markus Kavka mit Unterstützung durch sein Team aus Wissenschaftlern und Studenten von den Nebenwirkungen der Landtagswahl im Internet berichtet.

Zwischen den sehr positiv aufgenommenen Analysen des ZDF-Hauswissenschaftlers Professor Korte und den Hintergrundinformationen des Lokalmatadors und Netzpolitikexperten Dr. Bieber bestimmte tatsächlich das Online-Geschehen die Sendung. Auf neudeutsch „Netzscouts“ titulierte Studenten beobachteten die Blogosphäre, die Kurznachrichtenflut auf Twitter und das althergebrachte Fernsehprogramm und brachten ihre Erkenntnisse direkt und unmittelbar in die auf dem ZDF Infokanal und heute.de live übertragene Sendung ein.

Vor allem vor dem Hintergrund des noch taufrischen Sendeformats ist das Ergebnis durchaus vorzeigenswert. Im vergangenen Jahr hieß es noch „Kleber statt Kavka“ und berichtet wurde nicht von der Landtagswahl in Hessen, sondern von der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Die Kulisse der Sendung war aber auch da schon ähnlich, man sendete in beengter Atmosphäre aus der Cafeteria der American University in Washington. Etwas großzügiger waren die Platzverhältnisse am Zentrum für Medien und Interaktivität in Gießen dann schon und so hatte man auch Platz für mehr Zuschauer – was der Sendung stark zu Gute kam.

Für viele unerwartet kam die Masse an Informationen, die hauptsächlich über den Kurznachrichtendienst Twitter auf die Beobachter hereinbrach. Mehrere hundert Nachrichten sammelten sich innerhalb weniger Stunden an und offenbarten somit gleich ein bestimmendes Problem der Sendung, nämlich den kontinuierlich herein kommenden Meldungen Herr zu werden und sie aktuell und relevant in das Format zu integrieren. Dem gegenüber stand eine schon fast bemitleidenswerte Unterbeschäftigung der Netzscouts, die die Blogosphäre zu beobachten hatten – hier tat sich über die ganze Zeit kaum nennenswertes.

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Einige Kritik mussten die Macher sich aus dem Internet gefallen lassen, wenn mal wieder ein wenig chaotisch zwischen dem ZDF-Hauptprogramm und den Netzbeobachtern auf dem ZDF Infokanal hin und her geschaltet wurde. Da blieb schon mal der Ton auf der Strecke oder gerade redende Experten mussten schnell unterbrochen werden. Warum man für die Berliner Runde der Generalsekretäre der großen Parteien (und der CSU, seit wann tritt die eigentlich in Hessen an?) für mehrere Minuten den Sender räumen musste, stieß bei einigen Kommentatoren auf Unverständnis.

Markus Kavka als neuer Moderator dagegen hatte die Sympathie nicht nur des Saalpublikums ganz auf seiner Seite. Charmant und vor allem auch kompetent und interessiert dirigierte er den Live-Marathon für alle Beteiligten, so dass sich keiner übergangen oder verloren vorkam. Natürlich waren die zweieinhalb Stunden mit den verschiedensten Elementen nicht ausreichend, um jedem einzelnen vollauf gerecht zu werden. Die Mischung aber hat „Wahl im Web“ sehr ausgewogen hinbekommen.

Einen ambitionierten deutschen Neustart des auf die amerikanische Wahlen zugeschnitten Programms hat das ZDF also hingelegt, bleibt die Frage nach der Zukunft des Formats. Gerade zur kommenden Bundestagswahl wird sicherlich noch weitaus mehr Netzaktivität nicht nur bei Parteien sondern eben auch bei den politischen Internetnutzern zu verzeichnen sein. Eine gute Gelegenheit für die Mainzer, mit dem neuen Format eine dauerhafte Innovation in ihrem Wahlberichterstattungsprogramm zu etablieren. Aber auch die Europawahl und die Landtagswahlen könnten sich für eine Neuauflage des Formats anbieten.

Die Zuschauer würde es sicherlich freuen, wenn dabei die Mannschaft die gleiche bliebe. Mit dem sich pudelwohl fühlenden Markus Kavka hat man den absolut richtigen Moderator gefunden, Parteienexperte Karl-Rudolf Korte schien die direkt über das Internet hereinkommenden Fragen zu genießen und der Netzpolitik-Forscher Christoph Bieber könnte ohnehin mehrere Stunden einer solchen Sendung mit seinen Erklärungen füllen. Wir werden sehen, wie viel Mut zum Neuen auf dem Lerchenberg in Mainz zu finden ist.