Das war er also, der erste Internetwahlkampf im Jahr 2009. Wenn man die mediale Berichterstattung betrachtet, übertrumpfte er schon fast den eigentlichen Wahlkampf in Hessen. Selbst die großen TV-Sender ließen es sich nicht nehmen, in allen möglichen und unmöglichen Sendungen über den Netzwahlkampf in Hessen zu berichten und nur selten fehlte dabei der Vergleich mit der Internetnutzung des schon mantrahaft beschworenen Obama. Die herausragende Medienwirksamkeit bedeutete aber noch lange nicht, dass der Internetwahlkampf objektiv betrachtet wirklich ‚gut’ war und ebenso wenig, dass er den Bedürfnissen der Wähler gerecht wurde.
Zwei grundsätzliche Tendenzen lassen sich in diesem äußerst kurzen Wahlkampf im Internet feststellen. Zum einen ist im Vergleich zur letzten Hessenwahl im vergangenen Jahr ein Anstieg des Engagements zu bemerken. Gerade die großen Parteien CDU und SPD haben das Internet viel stärker genutzt als zuvor. Daneben steht der zum ersten Mal in Hessen in dieser Form umgesetzte direkte Kontakt mit den Bürgern, der ihnen die Möglichkeit der beidseitigen Kommunikation erlaubte.
Stärkere Nutzung des Internets als Verbreitungsmöglichkeit
Eine schwache Reichweite kann man den Onlineaktivitäten von Roland Koch, Thorsten Schäfer-Gümbel und ihren Mitbewerbern kaum vorwerfen. Immer mehr Unterstützer und Freunde konnten sie in den sozialen Netzwerken sammeln oder als Besucher für ihre Internetauftritte gewinnen. Bei der sonst so konservativen hessischen CDU kann man da schon fast von einem Innovationsrausch sprechen, betrachtet man das innerhalb so kurzer Zeit aufgestellte webcamp09. Ein Team von fast 30 ehrenamtlich arbeitenden Jugendlichen sorgte rund um die Uhr für eine mediale Bepflasterung ihres Weblogs, die an Kreativität selten zu wünschen übrig ließ. Ob man nun mit Roland Koch vor der Videoübertragung ins Internet saß und live mit den Nutzern chattete, oder man wenige Stunden nach Ende der Veranstaltungen bereits die Berichte und Interviews im Netz finden konnte. Auch so bizarre Fundstücke wie der ein oder andere Schnellrestaurantbesuch des geschäftsführenden Ministerpräsidenten wurden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Und die CDU unterstütze das webcamp in erstaunlichem Ausmaße, nahezu alle Minister und Parteifunktionäre besuchten die Jugendlichen und sahen sich deren Arbeit mit wachsender Faszination an. Auf der großen Wahlkampfveranstaltung mit Angela Merkel vor 4000 Zuschauern wurde das webcamp auf Großleinwand in einem Videoclip vorgestellt und die Besucher aufgerufen, doch zu Hause einmal auf der Seite vorbei zu schauen. Selbst die angereiste Bundeskanzlerin ließ sich von den webcampern interviewen, für den Reporter sicherlich ein besonderes Highlight im Wahlkampf.
Wie die CDU mit ihrem Webcamp zeigten viele der hessischen Parteien gute Ansätze in einem Internetwahlkampf, der aber auch ebenso zahlreiche Schwächen hatte. Gerade die grundsätzlichsten Informationen für interessierte Wähler wurden nicht bereit gestellt. Offensichtlich fehlte es denn Parteien an Verständnis für die Wünsche und Ansprüche der Interessenten. Kein Wähler möchte eine Internetseite einer Partei besuchen und sich erst durch verschachtelte Menüs oder eine Flut von Pressemitteilungen klicken. Stattdessen sucht er wohl eher nach einer kurzen Zusammenfassung der inhaltlichen Positionen und einer Vorstellung der Spitzenkandidaten.
Einzig die hessischen Grünen boten auf ihrer Wahlkampfseite jetztabergruen.de in der späteren Phase des Wahlkampfs unter dem Titel „Kurz und Knackig“ eine Übersicht über das Wahlprogramm an. Ein „Aufbruch für Hessens Schulen“ oder die Betonung von Natur- und Umweltschutz wurde auf der Startseite gefordert und dann in knappen Artikeln skizziert. Diese Artikel waren aber weder grafisch aufbereitet noch mit Bildmaterial veranschaulicht. Bei allen anderen Parteien fehlte solch ein leichter Zugang zu den selbstverständlichsten Informationen völlig. Man hielt es in den Wahlkampfzentralen scheinbar für ausreichend, einfach das komplette Wahlprogramm in endlosen PDF-Dokumenten zu veröffentlichen. Welcher Wähler sich diese Textwüsten wohl durchgelesen haben mag? Dabei zeigten die Wählerinnen und Wähler bereits durch das Aufrufen der Internetseite ein gewisses Interesse an der Partei und ihren Angeboten. Um so unverständlicher, dass man den einmal aktiv gewordenen Besuchern einen einfachen Zugang zu den gesuchten Informationen verwehrte.
Öffnung zum Dialog mit den Wählern
Mit einem Videoaufruf wandte sich der Thorsten Schäfer-Gümbel als Spitzenkandidat der SPD im Dezember an die hessischen Bürger. Er gestand zum ersten Mal den Fehler des Wortbruchs ein und war damit der erste SPD-Politiker, der das Scheitern der Regierungsbildung auch auf das gebrochene Wahlversprechen von Andrea Ypsilanti zurück führte, nicht mit der Linkspartei zusammen zu arbeiten. Aber forderte Schäfer-Gümbel die insgesamt mehr als 50.000 Zuschauer zum Dialog über die wirklich entscheidenden Fragen für die Zukunft des Landes auf. Allen Unkenrufen der Medien über die angeblich unprofessionelle Art des Videos zum Trotz wurde es zu einem vollen Erfolg und hunderte Zuschriften über die verschiedensten Kanäle von E-Mail bis Facebook-Nachrichten erreichten Schäfer-Gümbel und sein Team. Begeistert von der Menge der Fragen versprach der Spitzenkandidat, die Fragen zu Themenkomplexen zusammen zu fassen und dann zu erklären. Eine erste Auswahl las er aber direkt über den Schreibtisch gebeugt vor und beantwortete sie den Fragenden, die er sogar persönlich ansprach.
Leider hielten die später dann tatsächlich erscheinenden Themenvideos diese Direktheit nicht aufrecht und verkamen einmal mehr zu Wahlkampfansprachen, die eigentlich gar nicht mehr auf die gestellten Fragen eingingen. Der Wiesbadener Kurier lies Jugendliche die Videos anschauen und befragte sie anschließend dazu. Die Vorschläge der Kritiker zeigen dabei genau das Problem auf, das die Videos charakterisierte. Statt den lehrerhaft wirkenden Erläuterungen hätten sie es lieber gesehen, wenn Thorsten Schäfer-Gümbel die Fragen der Zuschauer auch mit Menschen vor der Kamera diskutiert hätte. Vielleicht wäre auch eine „Chat-Sprechstunde“ eine gute Idee gewesen, werfen sie ein. Die jetzt gezeigte Varainte dagegen finden die Jugendlichen weder spannend noch informativ und kommentieren knapp aber deutlich: „Der redet ja wie im Parlament“.
Kurz vor Ende des Wahlkampfes wendet sich auch Roland Koch, scheinbar inspiriert vom Erfolg seines Gegenübers, mit einem Aufruf an die Wähler. Der Kontakt mit Politikern sei durch die neuen Möglichkeiten des Internets wesentlich einfacher geworden. Die Politik sei auf die Anregungen und Fragen der Bürgerinnen und Bürger angewiesen und daher sollten sie diese Möglichkeit der Kontaktaufnahme auch nutzen. Was Roland Koch aber hier verspricht, ist kein neuer Dialog mit den Wählern über die Zukunft des Landes sondern nur eine Verdeutlichung der ohnehin schon existierenden Möglichkeit, den Abgeordneten des Landtags oder eben auch dem Ministerpräsidenten zu schreiben.
Lernen aus Innovationen und Schwächen
In beiden Tendenzen, der insgesamt stärkeren Nutzung des Internets im Wahlkampf und im direkten Bürger-Dialog, zeigten sich im kürzesten Hessen-Wahlkampf aller Zeiten erstaunliche Ansätze. Aber auch die Schwächen waren in beiden Tendenzen auch deutlich zu erkennen. Die Kürze des Wahlkampfs und die großen Finanzierungsschwierigkeiten können nur zum Teil die Versäumnisse oder die verschenkten Möglichkeiten rechtfertigen.
In jedem Falle wird der diesjährige Internetwahlkampf seine Auswirkungen auf die zukünftige Wahlkampfführung nicht nur in Hessen haben. Der Erfolg und die Reichweite der Angebote hat die hessische Politik überrascht und sie erste Schritte in der Wirkung von politischen Werkzeugen im Internet lernen lassen. Man darf gespannt sein, ob bereits bei der Bundestagswahl im September Lernerfolge zu sehen sein werden.