wir 2.0

Studierendenproteste sind auch nicht mehr das, was sie mal waren – ein zentrales Ziel, die Erreichung maximaler Medienaufmerksamkeit, ist nun schon vom Start weg realisiert: als am Mittwoch die Universität Heidelberg als erste eine Hörsaalbesetzung vermeldete und die Standorte Münster und Potsdam rasch nachzogen, da war die Informationsinfrastruktur schon fertig. Der Gießener Kollege @dr_meyer vermeldete bereits am Vormittag:

meyer

#bildungstreik2009.de: die social-media-infrastruktur steht: twitter-liste (http://bit.ly/3rP7ux), facebook-profil &youtube-kanal

Das Vorbild für die Nutzung der diversen Plattformen des „Social Web“ kam aus Österreich – mit den Hashtags #unibrennt und #unsereuni hatten sich bei der Besetzung des Wiener Audimax am 22. Oktober zwei „Informationsanker“ gebildet, die einen schnellen Zugriff auf die studentische Protestkommunikation ermöglichten. In rascher Folge kamen neue Informationsquellen hinzu, der zentrale Hörsaal der Wiener Universität reihte sich unter @audimax in die „Dinge, die twittern“ ein, und auch eine Facebook-Gruppe wurde eingerichtet. Erst etwas später ging die Website zum Protest online, entstanden ist dort ein veritables Web 2.0-Portal, inzwischen auch mit grenzüberschreitenden Nachrichten. Eine umfassende Chronik der Ereignisse findet sich hier, die kenntnisreichsten Darstellungen zur Nutzung des Internet im Protestprozess lieferten Weblogs-Beiträge wie die von Jana Herwig (@digiom), Helge Fahrnberger (@muesli), Philipp Sonderegger (@phs), Niko Alm (@NikoAlm).

Trotz der geballten Ladung Protestberichterstattung dauerte es sehr lange, bis sich die deutschen (Offline-)Medien etwas ausführlicher mit der Situation in Österreich befasst haben. Bezeichnender Weise weckten vor allem die zahlreichen Live-Streams aus den Hörsälen das Interesse der Beobachter – die manchmal etwas holprigen Videoübertragungen der täglichen Versammlungen, Diskussionen und Aktionen spiegeln die neuen Produktionsverhältnisse wider: das Internet als „Medienimperium in der Westentasche“ – weitere Unterstützung für These zwei des Internet-Manifest.

Man muss nun abwarten, was diese Veränderung beim Kampf um Öffentlichkeit im Bildungsdiskurs bewirkt – in Österreich trägt die Vernetzung im „Echtzeit-Internet“ zunächst einmal zur Synchronisierung der Proteste an den verschiedenen Standorten sowie der Identitätsstiftung und -erhaltung bei – „Wir 2.0“. Auch in inhaltlicher Perspektive können die Techniken zur netzbasierten Zusammenarbeit wichtige Dienste leisten, wie die Hauptseite des österreichischen Protests-Wikis zeigt. Bisher steht jedoch die inhaltlich-konstruktive Protestarbeit noch hinter den organisatorischen und kommunikativen Aktivitäten zurück.

Wie geht es nun weiter?

unikarte

Das ist zum aktuellen Zeitpunkt noch völlig unklar – breiten sich die Proteste auch in Deutschland in nennenswerter Zahl aus (eine Karte hierzu liefert @schaffertom), werden davon sicher auch die österreichischen Aktivisten profitieren. Zwar bildet die Kritik am Bologna-Prozess einen gemeinsamen Ansatzpunkt, doch stellen sich die Berührungsflächen für eine Kommunikation mit der Politik völlig anders dar. In Österreich steht der zuständige Minister Hahn auf dem Sprung nach Brüssel, in Deutschland steht die von der Koalition ausgerufene „Bildungsrepublik Deutschland“ gleich vor einer ersten Bewährungsprobe. Von der Piratenpartei wird man vermutlich in beiden Ländern etwas hören – während in Österreich die Partei bislang einen schweren Stand hatte, scheint man dort nun den Protest als Anschub für einen neuen Versuch zum „Entern des Parteiensystems“ nutzen zu wollen. Die deutsche Piratenpartei muss zwar noch den Mobilisierungs-Erfolg der Bundestagswahl verarbeiten und ihre Strukturen modernisieren, doch einer frisch aufflammenden Debatte um die Qualität des Hochschulstandortes Deutschland können sie sich keinesfalls verschließen – bildungspolitische Fragen in der Informationsgesellschaft stehen ganz oben auf der Agenda zur Erweiterung des Themenspektrums.

Dr. Christoph Bieber ist wissenschaftlicher Assistent an der JLU Gießen und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Neuen Medien auf politische und gesellschaftliche Prozesse. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem Publikationen zum Thema Online-Wahlkampf, die Zukunft der Mediendemokratie und Interaktivität. Dr. Bieber betreibt das Blog Internet und Politik.

Screenshots: twitter, zurpolitik

Wenn das Angebot seine Nachfrage schaffen soll…

Beinahe hätte ich die Werbeanzeige des österreichischen Bundeslandes Kärnten einfach überblättert. Im Rahmen der Fussballeuropameisterschaft war in dieser Woche im Spiegel nämlich eine achtseitige Broschüre des Gastgeberlands Österreich zu finden: „Innovatives Österreich“.

Die besagte kärtener Anzeige fand sich auf der vorletzten Seite und wartete mit dem einfallsreichen Werbeslogan „Wir sind Europameister“ auf…
Im oberen Bereich der Anzeige ist eine österreichische Landschaft mit Wiese, See und Bergen zu erkennen.
Darunter sechs Gründe, warum Kärten auch wirklich Europameister sei. Mit dabei zwei Gründe, die mich schon ein wenig stutzig machten:

UNSER BIER.
UNSERE FRAUEN.

Und die beiden Männer im Fussballtrikot unten in der rechten Ecke der Anzeige (wenn das mal kein Zufall ist… ;) ), stellten sich als Jörg Haider, mittlerweile Landeshauptmann von Kärnten, und sein Stellvertreter Gerhard Dörfler dar.

Insgesamt, kann man sagen, gibt es wesentlich schlimmere Werbeanzeigen über die man sich aufregen könnte (siehe: Ein Auto für Kriegsgötter).
Doch glauben Jörg Haider und seine Werbestrateginnnen und -strategen wirklich, dass die Deutschen die Wörter Bier und Frauen lesen und alle in Massen in Österreich einfallen?
Das mag vielleicht für manche deutsche MitbürgER gelten, aber das man gezielt damit Werbung macht, finde ich schon ein wenig seltsam.

Auch das Frauenbild, welches in der Anzeige dargestellt wird, spricht nicht für die Region.

„UNSER LACHEN. Kein Problem kann zu groß sein, kein Arbeitstag zu anstregend, kein Mädchen zu streng, (…)“


Quelle: http://kaernten.orf.at