Zweiklassensystem im Internet

Die Gesellschaft mit allen ihren Eigenarten wird im Internet digitalisiert und fortgeführt. So sieht es zumindest dana boyd [sic!]. Die Kommunikationswissenschaftlerin sprach Ende Juni im Rahmen ihrer Keynote beim diesjährigen Personal Democracy Forum in New York von einem Zweiklassensystem („second class citizenship“), welches im Internet immer stärker zu beobachten sei. Unter dem Titel „The Not-So-Hidden Politics of Class Online“ beschäftigte sich boyd mit der Frage, welche Rolle Social Network Sites für öffentliche Kommunikation spielen. Sind die Plattformen in der Lage Brücken zwischen den verschiedenen Teilen der Netzbevölkerung zu errichten oder reißen sie die Gräben eher noch weiter auf? Boyd verglich dazu die beiden in den USA reichweitenstärksten sozialen Netzwerke MySpace und Facebook. In Befragungen von mehreren hundert Jugendlichen stellte sich heraus dass die sozialen Umgebungen des Internet stärker mit realweltlichen Gesellschaftsbereichen vergleichbar sind, als bisher gedacht. So ist MySpace für viele der Befragten mit einem “ghetto” vergleichbar, während Facebook wiederum eher die „honors-kids“ miteinander verbinde.

boyd: „MySpace has become the „ghetto“ of the digital landscape.“

Die von boyd interviewten Jugendlichen fassen die Situation folgendermaßen zusammen:

Kat (14, Mass.): „I’m not really into racism, but I think that MySpace now is more like ghetto or whatever, and Facebook is all… not all the people that have Facebook are mature, but its supposed to be like oh we’re more mature. … MySpace is just old“.

Anastasia (17, New York): „My school is divided into the ‚honors kids,‘ (I think that is self-explanatory), the ‚good not-so-honors kids,‘ ‚wangstas,‘ (they pretend to be tough and black but when you live in a suburb in Westchester you can’t claim much hood), the ‚latinos/hispanics,‘ (they tend to band together even though they could fit into any other groups) and the ‚emo kids‘ (whose lives are allllllways filled with woe). We were all in MySpace with our own little social networks but when Facebook opened its doors to high schoolers, guess who moved and guess who stayed behind… The first two groups were the first to go and then the ‚wangstas‘ split with half of them on Facebook and the rest on MySpace… I shifted with the rest of my school to Facebook and it became the place where the ‚honors kids‘ got together and discussed how they were procrastinating over their next AP English essay“.

Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer allgemeinen miteinander verbundenen Netzöffentlichkeit gesprochen werden. Die sozialen Netzwerke stellen räumlich voneinander getrennte Plattformen dar, die es den einzelnen Nutzern nicht ermöglichen miteinander zu kommunizieren. Im Internet sind also verschiedene Treffpunkte entstanden. Damit platzt auch seifenblasenähnlich die von deutschen Politikern gerne zitierte „Netzcommunity“ als Allgemeinheit der Nutzer im Internet. Nach boyd gibt es keine „universal public online”.

“ There is no universal public online. What we see as user „choice“ in social media often has to do with structural forces like homophily in people’s social networks. Social stratification in this country is not cleanly linked to race or education or socio-economic factors, although all are certainly present. More than anything, social stratification is a social networks issue. People connect to people who think like them and they think like the people with whom they are connected. The digital publics that unfold highlight and reinforce structural divisions.”

Anders als Emails sind soziale Netzwerke wie MySpace und Facebook räumlich getrennt voneinander und können nicht miteinander verbunden werden.

“Social network sites complicate this even further. Social network sites are not like email where it doesn’t matter if you’re on Hotmail or Yahoo. When you choose MySpace or Facebook, you can’t send messages to people on the other site. You can’t Friend people on the other site. There’s a cultural wall between users. And if there’s no way for people to communicate across the divide, you can never expect them to do so.”

In ihrer Untersuchung beschäftigte sich boyd jedoch nur mit der US-amerikanischen Situtation weshalb die Frage nahe liegt, ob eine ähnlicher Vergleich auch in Deutschland mit den inzwischen etablierten sozialen Netzwerken möglich ist? Kann man zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wenn man die beiden unter jungen Erwachsenen besonders beliebten sozialen Netzwerke StudiVZ und Facebook betrachet? Spaltet sich die die  deutsche Studierendenschaft also in StudiVZ- und Facebook-Anhänger? Ebenso zentral bleibt in Deutschland die Frage nach regionalen Unterschieden (bspw. Lokalisten vs. Wer kennt wen).

Sternzeit vs. Steinzeit

Ob es das in Deutschland schon einmal gegeben hat? Ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter hält eine Rede, erntet minutenlange Standing Ovations und selbst der politische Gegner stimmt in den Applaus mit ein. So geschehen vor gut 2 Wochen auf dem Personal Democracy Forum in New York (siehe auch: Blogposting vom 30.06.20009).
Vivek Kundra, seines Zeichens erster CIO der Vereinigten Staaten von Amerika, nutzte die Konferenz um das neuste Projekt der US-Regierung unter Barack Obama zu präsentieren: it.usaspending.gov. Ganz im Sinne des bereits vor einiger Zeit gestarteten Angebotes data.gov, welches den Zugriff auf alle öffentlichen Daten der Bundesorgane ermöglichen soll, möchte man mit dem neuen Angebot die Verwendung der Steuer-Milliarden, die in den IT-Sektor fließen protokollieren und offen legen. Kundra hat die –zumindest für Amerika nicht mehr unrealistische- Vision das Internet zur Steigerung von Transparenz des Regierungshandelns einzusetzen:

„Now, for the first time, the entire country can look at how we’re spending money and give us feedback.“

„The IT Dashboard provides the public with an online window into the details of Federal information technology investments and provides users with the ability to track the progress of investments over time. The IT Dashboard displays data received from agency reports to the Office of Management and Budget (OMB) (…)“

Inzwischen hat auch die britische Regierung mit http://www.direct.gov.uk das Thema Transparenz des Regierungshandelns für sich entdeckt. Betrachtet man neben diesen beiden Regierungsauftritten das deutsche Pendant http://www.bundesregierung.de fühlt man sich doch wieder an den vor ein paar Wochen von Dr. Christoph Bieber aufgestellten Vergleich „Sternzeit vs. Steinzeit“ erinnert. Bleibt abzuwarten, wann der erste deutsche Regierungsmitarbeiter ein ähnliches Projekt der Öffentlichkeit präsentieren darf. In der Zwischenzeit müssen Ulrich Wilhelm und Thomas Steg wohl vergeblich auf Standing Ovations warten…

Einmal Zukunft und zurück

Bereits nach dem ersten Tag des Personal Democracy Forum („Technology is changing politics“) muss man sich als deutscher Konferenzteilnehmer mit der Frage auseinandersetzen, was bei uns derzeit alles falsch läuft.

Schon in der Begrüßungsrede rief Andrew Rasiej die Regierungen auf, entschieden gegen eine Zensur im Internet zu arbeiten. Mehrfach griffen auch andere Redner das Thema auf und teilten bewusst Seitenhiebe nach Europa aus. Gemeint war damit sicherlich auch Deutschland, das derzeit gefährlich Entwicklungen in dem Gebiet zeigt. Vielen Referenten und Teilnehmern scheint es aber auch nicht bewusst zu sein, welche Netzpolitik zur Zeit in Deutschland gemacht wird.

dana boyd stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob jemand überhaupt Social Network Sites benutzt, sonder nur noch um die Auswahl aus dem reichhaltigen Angebot von MySpace bis Facebook.

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boyd, die genauso wie die beiden anderen Hauptacts des heutigen Tages Jeff Javis und David Weinberger ihr Können als Rednerin bewies, sprach deshalb zum Thema „Zweiklassengesellschaft in Social Network Sites“ anhand der beiden Plattformen Facebook und MySpace. Sie betonte innerhalb ihres Vortrages inbesondere, dass es keine „universelle Onlineöffentlichkeit“ gibt. Die Ursache dafür kann in der räumlichen Trennung der Social Network Sites gesehen werden. Während es bei der Email-Kommunikation egal ist, ob Freunde und Bekannte über Hotmail oder Yahoo miteinander kommunizieren entstehen durch Social Network Sites in den meisten Fällen räumlich von einander abgeschnittene Communitys. Für Deutschland besonders interessant: In diesem Gedankengang wird die vielfach postulierte „Netzcommunity“ wiederlegt.

Für die Konferenzteilnehmer nett war natürlich auch die Rede von New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, der über Skype ins Auditorium geschaltet war und von Andrew Rasiej interviewt wurde.

So plauderten beide über Iphone-Apps für Einwohner und Touristen und auch eine Verbindungsunterbrechung wurde völlig problemlos und locker von den Gesprächspartnern hingenommen. Insgesamt fiel vor allem auf, dass Bloomberg als Bürgermeister weiß wovon er spricht und niemand dies für eine Besonderheit, sondern vielmehr für selbstverständlich hielt.

Den Rest des Tages füllten etliche weitere Sessions, die viele neue Erkenntnisse brachten. Doch erst der letzte Programmpunkt, verschiedene thematische Brainstormings, verdeutlichten endgültig den Unterschied zwischen US-amerikanischer und deutscher Netzpolitik. Zusammen mit vier weiteren Teilnehmern wurden Ideen zum Thema „international politics“ ausgetauscht. Und während in Deutschland derzeit verzweifelt alles daran gesetzt wird, Politiker und Bürger über das Internet in Kontakt zu bringen, ist dieser Schritt in den USA schon Schnee von gestern. Vielmehr überlegt man den Schritt weiter, wie Netzkommunikation zwischen verschiedenen Regierungen und noch viel spannender zwischen Regierungen und einer ausländischen Bevölkerung möglich werden. Ein konkretes Beispiel wäre, wie man es ermöglichen könnte, dass die deutsche Bevölkerung mit der US-amerikanischen Regierung kommuniziert? Eine für uns Deutsche wahnwitzig klingende Idee, die hier völlig ernsthaft diskutiert wird.

Wenn es danach geht, scheinen wir in Deutschland noch mitten in der Steinzeit zu stecken und erst langsam das Werkzeug zu entdecken, während in den Vereinigten Staaten mit dem weiterentwickelten Werkzeug inzwischen Eisen bearbeitet wird. Während man in Deutschland immer wieder Barack Obama und seinen Internetwahlkampf  wie eine Monstranz vor sich her trägt, zeigte sich bereits am ersten Konferenzkonferenztag das wahre Interesse der deutschen Parteien an dem Thema. Denn die deutschen Teilnehmer lassen sich mit Leichtigkeit an einer Hand abzählen.  Nachdem Joe Rospers (Obama ’08) mit der Frage „How many republicans are here today?“ und nur wenigen Meldungen die Lacher auf seiner Seite hatte, müsste man die Frage auch nach der Anzahl der deutschen Teilnehmer stellen bzw. noch besser der deutschen Parteimitarbeiter. Denn nirendwo würden sich so viele Tipps und Ideen sammeln lassen wie direkt vor Ort, aber die deutsche Parteielite ist derweil allen Anschein noch damit beschäftigt, das Netz zu filtern und Blogger zu verklagen.

Brave old world…

Bild: flickr Phil Hawksworth