In Gießen sind „wir“ noch 1.0

Vor nicht mal zwei Wochen hatte der Gießener Politikwissenschaftler Christoph Bieber noch hier im Blog auf die Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit der Hochschulproteste aus Österreich hingewiesen. Seit anderthalb Tagen ist nun auch seine (und meine) Universität in Gießen besetzt. Nun, die ganze Universität findet sich noch nicht unter der Herrschafft von Sandsäcken und Transparenten wieder, doch immerhin unser Stammhaus der Geisteswissenschaften kann nur noch durch ein Fenster betreten werden.

twitter beage

Die ersten Ansätze zur digitalen Kommunikation sahen doch recht viel versprechend aus. Ein eiligst auf Basis des Blogsystems WordPress hochgezogener Internet-Auftritt versprach schnelle Aktualisierungen und sogar ein Twitter-Profil @giessenstreikt wurde angelegt. Doch im Gegensatz zu den Kommilitonen aus Marbug (@marburgstreikt) betreibt man die twitterei unter den Gießener Studenten nur äußerst halbherzig, verpasst den Sinn und die Chance des Mediums dabei völlig. Nur grobe zweimal am Tag wird der Account aktualisiert und die dann zu findenden Informationen sind nur ein blasser Abglanz dessen, was man mit Twitter in solch kurzer Zeit bewegen kann. Mein Blog-Kollege Malte weist beispielsweise noch darauf hin, dass im offiziellen Account kein einziges Twitpic zu finden sei. Die inhaltsvollsten Auseinandersetzungen mit den Gießener Protesten kamen dann auch von anderen, studentischen Twitter-Profilen (@BeAge83 & @Amartholion).

stream

Der nächste erfreuliche Schritt aus Gießen war die Ankündigung, man wolle die studentische Vollversammlung live mit Bild und Ton ins Netz streamen. Das klappte auch erstaunlich gut, von der ersten Vollversammlung vor ein paar Tagen gibt es sogar eine Aufzeichung beim Streaming-Dienst. Auch wenn man das bei allen weiteren Versuchen vergas – die Videos waren wohl die direkteste Verbindung ins Streikzentrum. Erneut schwächelt man aber, wenn es um die Begleitung der Videos ging. Für alle, die nicht gestern von 16 bis 18 Uhr live vor dem Computer sitzen konnten, bleibt nicht die geringste Information übrig. Keine Twitter-Nachrichten, keine Zusammenfassung oder Aufzeichnung der Übertragung.

Nicht mal auf der Internetseite findet sich etwas Neues. Die letzte Meldung stammt noch von der morgendlichen Besetzung. In der eigenen studiVZ-Gruppe erklärt einer der Organisatoren auch, warum das so ist: Man hat schlicht die Zugänge zur Internetseite vergessen.

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So wenig 2.0 protestiert man in Gießen.

Bild: twitpic Amartholion

Der dreifache Bachelor

Unser Social Sciences Studium mit Abschluss als Bachelor of Arts gehört wohl zu den Studiengängen mit der meisten Freizeit. In diesem meinem dritten Semester muss ich nur an zwei Tagen pro Woche an die Uni, mein Wochenende beginnt Dienstag abends um 19.00 Uhr.

Immer wieder drängt sich mir der Vergleich mit meinem Medizin studierenden Freund Jan auf, der einfach wesentlich mehr zu arbeiten hat als ich. Aber wie viel denn nun genau? Ich habe mal nachgerechnet.

Das Medizinstudium ist grob in zwei Teile unterteilt. Das so genannte vorklinische Studium dauert vom ersten bis zum vierten Semester. An der Uni Gießen gibt es hier insgesamt 99,5 Wochenstunden im Studium der Humanmedizin. Ab dem fünften bis zum zehnten nennt man die Semester dann ‚klinisch‘. Hier stehen an der Uni Gießen 169,7 Wochenstunden auf dem Programm. Somit kommen wir auf einen Schnitt von 26,92 Wochenstunden pro Semester.

Unser ganzes Bachelorstudium Social Sciences hat in seinen sechs Semestern nur 78 Semesterwochenstunden. Das ergibt den glorreichen Schnitt von 13 Wochenstunden pro Semester. Ich denke, der Unterschied wird so schon ziemlich deutlich.

Dabei sind bis jetzt ausschließlich Präsenzstunden eingerechnet. Keine zusätzliche Vor- und Nachbereitung der Stunden und auch keine Prüfungen. Laut unserer Modulordnung kann man die Semesterwochenstunden dadurch vervierfachen. Bei Medizin dagegen dürfte der Faktor noch weit höher liegen; ich habe die Unterschiede in der Prüfungsvorbereitung zwischen Jan und mir nur zu oft gesehen.

Ebenfalls interessant finde ich ein kleines Rechenspiel. Unser B.A. hat 180 so genannte Creditpoits. Dazu werden einfach die geplanten Gesamtstunden, der Workload, umgerechnet. Jede 30 Stunden Arbeit ergeben 1 Credit Point. Rechnet man nun die Präsenzzeit des Medizinstudiums an Hand der in unserem B.A. verwendeten Quote um, kommt man auf ein beeindruckendes Ergebnis. 600 Credit Points erarbeitet sich ein Medizinstudent nach dieser eher noch untertriebenen Schätzung. Das sind 3,3 Bachelorabschlüsse!

Die sich nun stellende Frage ist doch, warum unser B.A. Social Sciences so inhaltsleer und arbeitssparend angelegt ist? Wollten die Planer uns Studenten einen Gefallen tun? Das Medizinstudium zeigt doch, wie eine umfassende Ausbildung aussehen kann. Natürlich haben Medizinstudenten während des Studiums weniger Zeit für Party oder Geldverdienen. Aber haben wir Sozialwissenschaftler nicht einfach zu viel davon?

Bild: aboutpixel peterehmann