Die Wahl ohne Web?

Die größte Schwäche der ZDF „Wahl im Web“ aus Erfurt zu den Landtagswahlen in Sachsen, Saarland und Thüringen war erneut die Rolle, die dem Internet zugesprochen wurde. Der Titel „Wahl im Web“ war einmal mehr nur Beiwerk für eine Sendung, die zwischen Hochrechnungen und Wahlanalysen ihr Profil nicht finden konnte.

kavka

Bei der ersten Ausgabe des Formats zur Landtagswahl in Hessen im Januar diesen Jahres war die Verteilung noch klarer. Es gab Netscouts für Internetseiten, für Blogs und Twitter. Schnell wurde in der Sendung deutlich, dass nur Blogs und Twitter die Schnelligkeit und Aktualität des Geschehens wirklich aufzeigen konnte. Doch gerade diese beiden Elemente fehlten in der heutigen Ausgabe nahezu vollkommen.

Wenig Aktualität

Nun kann man das Internet als Wahlbegleitung aus zwei Perspektiven sehen. Zum einen ist da der Online-Wahlkampf, auf den man einen Rückblick werfen kann. Doch statt diesen wirklich kompetent zusammen zu fassen, warf man im ZDF lieber mehr als einen Blick auf Kuriositäten von peinlichen Videos bis zu sinnbefreiten Online-Spielen. Zum zweiten aber sollte der Titel „Wahl im Web“ deutlich machen, was zeitgleich während der Öffnungszeiten der Wahllokale und den ersten Analysen tatsächlich im Internet passiert. Dieser aktuelle Aspekt fehlte im Verlauf des Formats nahezu völlig.

bieber

Erst in den Hintergrundgesprächen mit Dr. Christoph Bieber kam etwas Substanz in die Berichterstattung. Zugleich muss man sich aber fragen, ob der Zuschauer einen so fundierten Einstieg in das Verhältnis von Politik und Internet innerhalb der kurzen Sendung wirklich aufnehmen möchte – wo doch auf allen anderen Kanälen sich Hochrechnungen, Analysen und Kommentare in ihrer Aktualität miteinander messen.

Web 2.0 ist kein Allheilmittel

Ein weiterer Störfaktor war der gebetsmühlenartige Hinweis auf die mangelnde Interaktion auf den Internetseiten der Parteien. Das Web 2.0 ist kein Allheilmittel für einen Wahlkampf, dem es schon an den grundsätzlichen Anforderungen eines „Web 1.0“ fehlt. Irrelevante Informationen werden von allen Parteien in den Vordergrund gestellt und die für den Wähler wichtigen Interessen weiten teils versteckt.

Und so bestand die „Wahl im Web“ aus Erfurt aus einer Reihe von Elementen, die nicht so recht zusammen passen wollten. Skype-Gespräche mit Zeitungsredakteuren zum Onlinewahlkampf können noch eine ganz gute Quelle sein, blieben aber in diesem Fall zu vage und häufig schlicht uninteressant. Die Wahlanalysen der beiden Politikwissenschaftler Bieber und Debus waren allemal interessant, hatten aber nur noch wenig mit dem Web zu tun.

Fazit

Wie schon bei der „Wahl im Web“ zur Europawahl kann daher auch dieses Mal das Fazit nur lauten, das Web zur Wahl wieder in den Vordergrund zu rücken. Und ebenso muss man das ZDF auch heute dafür loben, dem Konzept weiterhin so viel Spielraum zu geben. Zur Bundestagswahl sollte dann allerdings die Übertragung im Web nicht eine Dreiviertelstunde früher beginnen als auf dem ZDFinfokanal. Die blockierende Übertragung vom Reitsport hätte nun wirklich unterbrochen werden können.

zdfinfokanal_reitturnier

Bilder: ZDF Screenshots, Montage

Wal mit Scheuklappen

Die „Wahl im Web“ zur Europa-Wahl kämpfte mit ähnlichen Problemen wie die letzte Ausgabe zur Landtagswahl im Hessen. Die Sendung schlingerte zwischen aktueller Webbeobachtung, erklärenden Expertengesprächen und Rückbetrachtung des Wahlkampfs.

screen3Natürlich muss auch eine Sendung, die sich mit der Aufnahme der Wahl im Internet beschäftigt, die komplizierte Welt der EU erklären. Ein Job, den Professor Christian Calliess von der FU Berlin auch ganz hervorragend bestritten hat. Auch Dr. Christoph Bieber von meiner Heimatuni in Gießen konnte mit seinen Erläuterungen zum Thema Netz und Politik sicherlich Vielen komplexe Sachverhalte näher bringen. Professor Karl-Rudolf Korte war zwar nebenan in der ZDF-Hauptsendung zu Gast, mischte sich aber per Twitter-Nachrichten mit interessanten, teils kontroversen Analysen des Wahlergebnisses ein.

Dennoch fehlte wieder ein wenig der namensgebende Charakter der Sendung. Dr. Bieber hatte in seinem Blog, auch von Kavka angesprochen, eine Vorherrschaft von Twitter für die Sendungsgestaltung vorhergesagt – und wurde nicht bestätigt. Die Besuche bei den „Twitter-Scouts“ waren keineswegs prägend für die Sendung, sondern eher auflockerndes Zwischengeplänkel. Auch die Twitter-Scouts selbst müssen sich fragen lassen, ob wirklich die ausgewählten Kurznachrichten die Richtigen waren und man nicht mehr ins Detail und auf die Meinungsäußerung der Nutzer hätte eingehen sollen.

screen2Die angekündigte europaweite Ausrichtung der Netzrecherchen konnten nicht wirklich überzeugen. Interessante Hinweise kamen vor allem von den polnischen und ungarischen Gästen, die über ihre heimische Netzwelt und die politischen Bedingungen vor Ort berichteten. Solche Elemente hätten ausgebaut werden müssen- während ich auf einen rappenden Halbnazi Strache, einen pöbelnden Berlusconi und die Freundeszahlen von Sarkozy bei Facebook hätte verzichten können.

Bemerkenswert waren in jedem Fall die Besuche der Spitzenkandidaten von CDU und Grünen. Hans-Gert Pöttering und Reinhard Bütikofer besuchten die „Wahl im Web“ und stellten sich den Zuschauerfrage aus dem Chat. Dass nicht alle Spitzenkandidaten kommen konnten oder wollten, schmälert diesen Erfolg nicht.

Im Vergleich zur letzten, bewusst studentisch und unprofessionell gehaltenen Ausgabe aus dem Gießener Hörsaal wirkte schon das Set in Berlin viel anspruchsvoller. Da fällt es aber auch mehr auf, wenn die Sendung zwischenzeitlich chaotisch, konzeptlos oder ziellos wirkt. Markus Kavka hatte eine große Aufgabe zu bewältigen, nämlich alle Beteiligten und auch noch zahlreiche Gäste zu Wort kommen zu lassen. Nicht immer passte das zum Konzept der Sendung.

Zwei Ausgaben von „Wahl im Web“ stehen für dieses Jahr noch auf dem Programm, angekündigt für die Landtagswahlen im Saarland, in Sachsen und in Thüringen am 30. August und natürlich die Bundestagswahl am 27. September. Für die beiden Sendungen sollte das ZDF das Netz noch weiter in den Vordergrund rücken und so dem Namen der Sendung mehr Inhalt verleihen. Einen sehr guten, lobenswerten und innovativen Ansatz hat das ZDF aber auch mit den beiden ersten Ausgaben gezeigt.

Alle Bilder: Screenshots, ZDF

Der Wal zur Wahl

kavkaEine neue Ausgabe der „Wahl im Web“ mit Markus Kavka sendet der ZDFinfokanal am Sonntag, 7. Juni ab 17.30 Uhr (ebenfalls auf heute.de). Nach der Landtagswahl in Hessen steht jetzt also die Europawahl im Blickpunkt. Nicht gerade die beliebteste Wahl der Deutschen, macht das Format also Sinn?

Die Reaktionen auf die letzte Ausgabe der Sendung zur Hessenwahl im Januar waren durchweg positiv, das Netz für seine eher kritische Haltung recht angetan. Das Problem der „Wahl im Web“ in Hessen lässt sich aber sehr gut an zwei Personen festmachen: Edgar Diener und Christoph von Massow saßen in der ersten Reihe, gleich neben Dr. Bieber und Kavka häufig im Bild zu sehen. Als Netscouts waren sie abgestellt, das Geschehen in Blogs und Internetseiten zu beobachten – und waren dabei vollkommen unterbeschäftigt. Twitter hatte die mittlerweile schon als „klassisch“ zu bezeichnenden Onlineformate schlicht abgehängt. Ohnehin wäre der Online-Faktor des Formats ohne Twitter nicht aufrecht zu erhalten gewesen. Es fehlte über die Kurznachrichten hinaus einfach Material, das innerhalb von zweieinhalb Stunden während der Wahl entstehen konnte.

Hier bieten sich natürlich bei der Europawahl ganz andere Perspektiven, die 500 Millionen Europäer werden einen bleibenderen Eindruck im Netz hinterlassen als die 6 Millionen Hessen. Dennoch liegen genau hier auch Gefahren für das Format. Schon in der Sendung zur Hessenwahl drohten die Beobachter der Twitterkanäle den Überblick zu verlieren angesichts der schieren Anzahl an Meldungen. Wie soll dieser Herausforderung durch aus ganz Europa herein prasselnde Nachrichten begegnet werden?

27 Länder in der Europäischen Union bedeuten nicht nur 27 unterschiedliche Netzgemeinschaften, sondern auch andere Verständnisse von der Arbeit der Europäischen Union und nicht zuletzt auch der Bedeutung der Wahl des Europäischen Parlaments. Nicht immer wird die deutsche Produktion alles verstehen und in die richtigen Kontexte einordnen können.

walVielleicht finden andere Kulturräume ja wenigstens das seltsame Logo der Sendung ansprechend und wundern sich nicht wie ich über den irritierend kindischen Wal im Spinnennetz.

Erfreulicherweise ist das Team der Sendung das Gleiche geblieben. Der großartig gestartete Markus Kavka wird erneute die Moderation übernehmen, Professor Korte seine im Netz beliebten Einordnungen abgeben und Dr. Bieber seinen kaum zu bremsenden Sachverstand einbringen. Auch meine Gießener Kommilitonen sind wieder für die Netzbeobachtung zuständig, obwohl die Sendung diesmal nicht aus der heimeligen Atmosphäre der Gießener Uni kommt, sondern aus der hochoffiziellen Wahlfestung des ZDF in Berlin. Möge der Sendung dadurch nicht allzu viel Charme verloren gehen.

Bilder: ZDF

Das Netz hat gewählt

01-18_17-30-03_zdfinfokanal_wahl-im-web-01-19-01-58-33In den Maßstäben der sonst so kritischen Twitter-Gemeinde war die Rückmeldung zur Sendung „Wahl im Web“ des ZDF schon überwältigend gut. Etwas mehr als zweieinhalb Stunden hatte Markus Kavka mit Unterstützung durch sein Team aus Wissenschaftlern und Studenten von den Nebenwirkungen der Landtagswahl im Internet berichtet.

Zwischen den sehr positiv aufgenommenen Analysen des ZDF-Hauswissenschaftlers Professor Korte und den Hintergrundinformationen des Lokalmatadors und Netzpolitikexperten Dr. Bieber bestimmte tatsächlich das Online-Geschehen die Sendung. Auf neudeutsch „Netzscouts“ titulierte Studenten beobachteten die Blogosphäre, die Kurznachrichtenflut auf Twitter und das althergebrachte Fernsehprogramm und brachten ihre Erkenntnisse direkt und unmittelbar in die auf dem ZDF Infokanal und heute.de live übertragene Sendung ein.

Vor allem vor dem Hintergrund des noch taufrischen Sendeformats ist das Ergebnis durchaus vorzeigenswert. Im vergangenen Jahr hieß es noch „Kleber statt Kavka“ und berichtet wurde nicht von der Landtagswahl in Hessen, sondern von der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Die Kulisse der Sendung war aber auch da schon ähnlich, man sendete in beengter Atmosphäre aus der Cafeteria der American University in Washington. Etwas großzügiger waren die Platzverhältnisse am Zentrum für Medien und Interaktivität in Gießen dann schon und so hatte man auch Platz für mehr Zuschauer – was der Sendung stark zu Gute kam.

Für viele unerwartet kam die Masse an Informationen, die hauptsächlich über den Kurznachrichtendienst Twitter auf die Beobachter hereinbrach. Mehrere hundert Nachrichten sammelten sich innerhalb weniger Stunden an und offenbarten somit gleich ein bestimmendes Problem der Sendung, nämlich den kontinuierlich herein kommenden Meldungen Herr zu werden und sie aktuell und relevant in das Format zu integrieren. Dem gegenüber stand eine schon fast bemitleidenswerte Unterbeschäftigung der Netzscouts, die die Blogosphäre zu beobachten hatten – hier tat sich über die ganze Zeit kaum nennenswertes.

01-18_17-30-03_zdfinfokanal_wahl-im-web-01-19-01-51-001

Einige Kritik mussten die Macher sich aus dem Internet gefallen lassen, wenn mal wieder ein wenig chaotisch zwischen dem ZDF-Hauptprogramm und den Netzbeobachtern auf dem ZDF Infokanal hin und her geschaltet wurde. Da blieb schon mal der Ton auf der Strecke oder gerade redende Experten mussten schnell unterbrochen werden. Warum man für die Berliner Runde der Generalsekretäre der großen Parteien (und der CSU, seit wann tritt die eigentlich in Hessen an?) für mehrere Minuten den Sender räumen musste, stieß bei einigen Kommentatoren auf Unverständnis.

Markus Kavka als neuer Moderator dagegen hatte die Sympathie nicht nur des Saalpublikums ganz auf seiner Seite. Charmant und vor allem auch kompetent und interessiert dirigierte er den Live-Marathon für alle Beteiligten, so dass sich keiner übergangen oder verloren vorkam. Natürlich waren die zweieinhalb Stunden mit den verschiedensten Elementen nicht ausreichend, um jedem einzelnen vollauf gerecht zu werden. Die Mischung aber hat „Wahl im Web“ sehr ausgewogen hinbekommen.

Einen ambitionierten deutschen Neustart des auf die amerikanische Wahlen zugeschnitten Programms hat das ZDF also hingelegt, bleibt die Frage nach der Zukunft des Formats. Gerade zur kommenden Bundestagswahl wird sicherlich noch weitaus mehr Netzaktivität nicht nur bei Parteien sondern eben auch bei den politischen Internetnutzern zu verzeichnen sein. Eine gute Gelegenheit für die Mainzer, mit dem neuen Format eine dauerhafte Innovation in ihrem Wahlberichterstattungsprogramm zu etablieren. Aber auch die Europawahl und die Landtagswahlen könnten sich für eine Neuauflage des Formats anbieten.

Die Zuschauer würde es sicherlich freuen, wenn dabei die Mannschaft die gleiche bliebe. Mit dem sich pudelwohl fühlenden Markus Kavka hat man den absolut richtigen Moderator gefunden, Parteienexperte Karl-Rudolf Korte schien die direkt über das Internet hereinkommenden Fragen zu genießen und der Netzpolitik-Forscher Christoph Bieber könnte ohnehin mehrere Stunden einer solchen Sendung mit seinen Erklärungen füllen. Wir werden sehen, wie viel Mut zum Neuen auf dem Lerchenberg in Mainz zu finden ist.

ZDF: Wahl im Web

Nach der „Nacht im Netz“ kommt die „Wahl im Web“: Wie zur US-Wahl wird das ZDF auch bei der Landtagswahl in Hessen eine interaktive Sendung im Internet ausstrahlen. Moderiert wird die Sendung von Markus Kavka, bekannt aus dem Musiksender MTV. Er sieht eine Chance, über die neuen Medien vor allem bei Jüngeren mehr Interesse für Politik zu wecken: „Ich bin davon überzeugt, dass das Internet und Sendungen wie diese dafür sorgen werden, dass die Politikverdrossenheit bei jungen Leuten bald das Zeitliche segnen wird.“

Kavka und sein Team berichten am 18. Januar live aus einem Hörsaal der Universität Gießen darüber, was sich rund um die Hessenwahl im Internet tut. Haben die Parteien die Möglichkeiten des Online-Wahlkampfs erkannt und erfolgreich genutzt? Schafft es die deutsche Politik im Superwahljahr 2009 über das Netz vor allem junge Wähler anzusprechen? Diesen Fragen werden unter der renommierte Parteienexperte Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg/Essen und Christoph Bieber vom Zentrum für Medien und Interaktivität der Uni Gießen nachgehen (Quelle: http://wahlimweb.zdf.de).

Weitere Informationen:

http://wahlimweb.zdf.de/ZDFheute/inhalt/1/0,3672,7504449,00.html?dr=1

http://idw-online.de/pages/de/news295683