Zwar werden in Hessen seit 2008 keine Wahlen mehr mit Wahlcomputern durchgeführt und doch waren bei den Kommunalwahlen am Sonntag Computer bei der Stimmerfassung und -übermittlung involviert.
Am Sonntag durfte die hessische Wahlbevölkerung auf – je nach Wohnort – bis zu vier Stimmzettel weit über 100 Stimmen vergeben. Ein in seiner Macht nicht zu unterschätzendes Instrument für die Wähler. Doch gleichzeitig verkompliziert dieses Wahlsystem die Auszählung der Stimmzettel und erhöht damit die Fehleranfälligkeit bei der Stimmenauszählung. So wurden bereits wenige Tage nach der Wahl eine ganze Reihe von Unregelmäßigkeiten bekannt. Gleichzeitig vergrößerte sich der Auszählungsaufwand dermaßen, dass die Wahlhelfer im Wahllokal am Wahlabend es lediglich schaffen, die Listenkreuze auszuzählen und ein Trendergebnis zu erstellen. Alle Stimmzettel auf denen kumuliert und panaschiert wurde, werden in den Tagen nach der Wahl von Verwaltungsangestellten in den Rathäusern ausgezählt, wodurch die Wahl die Ämter für zwei bis drei Tage fast komplett lahmlegt.
In der Lokalzeitung war heute der kleine und unscheinbaren Satz zu lesen, dass die Stimmzettel von den Verwaltungsangestellten in jeweils Dreiergruppen in ein Computerprogramm übertragen und von dort aus dann über das Internet weiter übermittelt würden. Und auch der Hessische Rundfunk berichtet in einem kurzen Beitrag über die Auszählung, dass die Stimmen in ein Computerprogramm notiert würden. Dies mag jetzt nicht weiter verwunderlich klingen, gewinnt aber meiner Meinung nach an Brisanz, wenn man die Zeit etwas zurückspult.
Zur Landtagswahl 2008 waren in Hessen elektronische Wahlgeräte zugelassen worden. Während sich die Wahlleiter schon auf einen möglichen Einsatz bei den Kommunalwahlen 2011 freuten, sorgte die Testeinsätze (u.a. in Langen und Viernheim) (siehe dazu u.a. den Artikel von Christoph Bieber und Christian Marx bei Telepolis) für einen großen Proteststurm. Fast alle namhaften Medienvertreter berichteten über die Gefahren der Geräte. Und so waren am Wahltag auch eine Reihe von Wahlbeobachter des Chaos Computer Clubs in den Testwahllokalen vor Ort.
Während die Kritiker die Gefahren des Einsatzes von elektronischen Wahlgeräten hervorhoben (große Aufmerksamkeit erhielt insbesondere ein Video in dem gezeigt wurde, wie innerhalb einer Minute ein EPROM ausgetauscht werden kann) waren die Wahlleiter mit den Testdurchläufen im Großen und Ganzen sehr zufrieden, da sie bereits wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale die Ergbenisse in den Händen hielten – während andernorts gerade einmal die ersten Stimmzettel auseinander gefaltet wurden. Hoffnung war es, gerader kompliziertere Auszählungsverfahren, wie beim Kumulieren und Panaschieren zukünftig durch den Einsatz von elektronischen Wahlgeräten zu umgehen.
Im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes an der Uni Gießen hatte ich zusammen mit einer ehemaligen Kommilitonin damals in Gesprächen mit hessischen Wahlleitern erfahren, dass sie in den möglichen Einsätzen von elektronischen Wahlgeräten große Chancen sehen würden, um einer immer deutlichen „Wahlhelfermalaise“ (siehe Buchstein) entgegen zu wirken. Während anderswo bereits Fernseher und Reisegutscheine unter den Wahlhelfern verlost werden, um sie zur Mitwirkung zu überzeugen, sind in Hessen nämlich mehr und mehr (teure) Verwaltungsangestellte im Einsatz um die fehlenden Wahlhelfer auszugleichen. Hier stieß ein möglicher Einsatz von elektronischen Wahlgeräten – verständlicherweise – auf großes Interesse.
Doch dann kam der 3. März 2009. Das Bundesverfassungsgericht untersagte kurz gesagt, den Einsatz der bislang eingesetzten Geräte des Herstellers Nedap und mahnte deutliche Optimierungen der Geräte an. Dies war das letzte Mal das man in Deutschland in einem größeren Rahmen von elektronischen Wahlgeräten gehört hat. Seit dem herrscht Funkstille. Lediglich aus dem Ausland gibt es Neuigkeiten (jüngst bspw. aus Estland).
Das Thema Wahlcomputer scheint also von den Tagesordnungen verschwunden zu sein. Die Manipulationsgefahren und die Intransparenz der Geräte war für den Regelbetrieb zu hoch. Da verwundert umso mehr die gleichgültige Feststellung in den Medien, dass die Stimmen in Hessen am Sonntag zwar mit Stift und Papier abgegeben wurden, um dann anschließend von einer dem Wähler unbekannten Person in ein Computerprogramm eingetragen zu werden.
Haben hier die Wahlcomputer-Gegner eventuell einen Schritt zu kurz gedacht? Denn der Einsatz der diskutierten Geräte wurde zwar verhindert, gleichzeitig wurde in den Verwaltungen eine Art Ersatz geschaffen, der durchaus noch anfälliger für mögliche Manipulationen ist. Hier wurden nun keine geschlossenen Systeme eingesetzt, sondern normale Bürocomputer, die anscheinend sogar am Internet hängen.
Ich kann als Wähler also weder nachvollziehen, ob meine Stimmen korrekt vom Stimmzettel per Hand in den Computer übertragen wurden, noch kann ich nachvollziehen, ob die eingesetzte Software korrekt funktionierte und nicht vorab manipuliert wurde. Hat sich also unbemerkt eine neue Form des eVotings in Hessen eingeschlichen?
Ich für meinen Teil weiß jedenfalls nicht, ob der Computer, an dem mein Stimmzettel eingetragen wurde, korrekt funktionierte und nicht möglicherweise manipuliert war. Sollte wirklich flächendeckend eine Software zur Stimmerfassung und -übermittlung eingesetzt worden sein erscheint mir hier ein weitaus größere Schwachstelle für mögliche Manipulationen, als in geschlossenenen Systemen.
Und noch eine kurze Anekdote am Schluss. Folgende Nachricht ist auf hr-online.de zu lesen:
„In Sulzbach etwa zwangen Leitungsprobleme die Wahlhelfer an die frische Luft. Zu Fuß und mit Speicherstick mussten die Wahlergebnisse aus der Schule ins Rathaus gebracht werden. Auf ihr Computerprogramm mussten auch die Flörsheimer verzichten. Doch die Wahlhelfer wussten sich zu helfen: Sie schickten die Zahlen kurzerhand per E-Mail an das Statistische Landesamt.“
Bild: boerger-net/flickr.com