Unterstützerkampagnen und Parteien: Das Kraftvoll in NRW

Nur selten bekommen Direktkandidaten in Wahlkämpfen öffentliche Aufmerksamkeit, die über den eigenen Wahlkreis hinaus geht. Sie treten als örtliche Gesichter ihrer Partei auf und arbeiten scheinbar nur in zweiter Linie für sich selbst. Im ‚Webrestaurant Kraftvoll‘ wird nun das Scheinwerferlicht auf die Kämpfer aus der zweiten Reihe gerichtet. In jeder Episode stellt der virtuelle Restaurantchef Stephan Braun einen oder mehrere Direktkandidaten aus der NRW-SPD vor. Die Arbeit hinter den Kulissen macht sich aber nicht die SPD, sondern Stephan Braun mit einigen Freiwilligen selbst. Ein Überblick über Unterstützerkampagnen in Deutschland.

schroeder98.de

Unterstützerkampagnen im Internet sind nicht erst seit Barack Obama zu finden, wie man als junger Mensch heute schon fast vermuten könnte. Schon im Bundestagswahlkampf 1998 fanden sich drei Sympathisanten von Gerhard Schröder zusammen und bauten mit schroeder98.de eine „nicht-autorisierte Schröder-Homepage“.  Die Kölner Illustrierte berichtete im August ’98:

„Der Wunsch, etwas über die Person Gerhard Schröder zu erfahren, wächst mit jedem Tag, den die Wahl im September näherrückt“, erklärt Oliver Zeisberger. Aus diesem Grund hat der Diplomkaufmann und selbständige Multimedia-Berater zusammen mit den Studenten Tim Bonnemann und Florian Koller die Initiative schroeder98.de gegründet. Das Ergebnis der Arbeit der drei Kölner kann im Internet unter www.schroeder98.de abgerufen werden. „Das Bild, das wir von Schröder aus den Kategorien Person, Crew, Politik und Unterstützer zusammensetzen“, so Zeisberger, „ist jetzt schon vielfältiger als alles, was im Internet derzeit gesammelt verfügbar ist.“

Für die politische Wissenschaft war die Trennung von offiziellen Parteistrukturen schon damals von Interesse. Dr. Christoph Bieber schreibt dazu in seinem 1999 erschienen Buch “Politische Projekte im Internet”:

“Eine kommerzielle ‘digitale Agentur’ aus Köln sicherte sich die Namensrechte und entwickelte das Angebot ohne direkten Kontakt zur SPD-Wahlkampfzentrale. Dieses Modell folgt dem Muster der amerikanischen ‘Political Action Comittees’, die als externe Unterstützergruppen in nahezu allen personenbezogenen Wahlkampagnen fungieren. Daß [sic!] dies in Deutschland erstmals in prominenter Stelle via Internet geschieht, liegt in den vergleichsweise geringen Kosten für die Entwicklung und Unterhaltung einer solchen Web-Site und dem damit verbundenen Werbeeffekt. Aus einer analytischen Perspektive ist hier aber vor allem das Aufbrechen der klassischen Akteursverteilung innerhalb einer Wahlkampagne von Bedeutung” (Bieber 1999: 143).

Für die Parteien waren die Unterstützerkampagnen also ein zweischneidiges Schwert. Während sie sicherlich begeistert waren, dass Begeisterung für ihre Kandidaten in eigenes Engagement umschlug, verloren sie doch die Kontrolle über einzelne Elemente ihres Wahlkampfes. Springen wir einige Jahre vorwärts und werfen einen Blick auf das Webcamp09, das sich für die Wiederwahl des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) stark machte.

Webcamp09

Als nach der gescheiterten Regierungsbildung von Andrea Ypsilanti im Herbst 2008 klar wurde, dass es sehr bald zu Neuwahlen kommen würde, kam auch im Umfeld der hessischen CDU die Idee einer Unterstützerkampagne auf. Im Gegensatz zu bisherigen Prototypen von Unterstützerkampagnen aber kam der Impuls nicht unmittelbar von Außerhalb, sondern ging von Mitgliedern der Jungen Union aus. Innerhalb weniger Wochen wurde das Webcamp09 auf die Beine gestellt – mit tatkräftiger Unterstützung der Landes-CDU. In unserem Bericht der Kampagnenpraxis zum Webcamp zeigten wir, wie nahe das Webcamp auch im Kampagnenalltag an die CDU angebunden war:

„Das Webcamp steigerte seine Bekanntheit durch gezielte und medienwirksame Provokationen wie einem Webvideo. Vor allem aber war die Internetkampagne Teil der Gesamtstrategie und erhielt darin einen klar definierten Platz. Die CDU bewarb das Webcamp auf allen eigenen Kanälen und baute es in ihre Kommunikation ein. Andererseits berichtete die Webcamp-Website über die Aktivitäten der CDU, insbesondere diejenigen im Internet, und machte sie zu einem Teil des Austauschs und der Auseinandersetzung auf der Plattform.“

Das erfolgreiche Konzept des Webcamps findet sich auch im Landtagswahlkampf 2010 in Nordrhein-Westfalen wieder. Ein Blick auf NRW für Rüttgers zeigt die Ähnlichkeiten auf. Wieder bloggen, twittern und schreiben Mitglieder der Jungen Union über den Wahlkampf und statt Roland Koch nun über Jürgen Rüttgers.

Kraftvoll – Das Webrestaurant

Mit dem Kraftvoll zeigt sich in NRW nun eine dritte Ausbaustufe der Unterstützerkampagnen. Nach der völlig eigenständig agierenden Kampagnenseite schroeder98.de und dem stark an die Partei gebundenen webcamp09 bildet das Kraftvoll wieder eine größere Eigenständigkeit – wird aber von der NRW-SPD mit Freude aufgegriffen. Die Videos von Stephan Braun und seinem Team finden sich im offiziellen Youtube-Kanal der SPD Nordrhein-Westfalen und werden im parteieigenen Blog und über Twitter prominent weiterempfohlen. In regelmäßigen Abständen werden im Kraftvoll in meist sechs bis sieben Minuten langen Videos die SPD-Direktkandidaten vorgestellt. Man hat sich für die Interviews das fiktive Setting eines Restaurants ausgedacht, in dem die Kandidaten von einem Kellner interviewt werden.

Stephan Braun, der den Kellner spielt und dessen Agentur die Videos produziert, hat schon im Kommunalwahlkampf mit diesem Konzept eine Unterstützerkampagne für den Wuppertaler Oberbürgermeisterkandidaten von der SPD umgesetzt. „Wir sind Bell“ hieß die Kampagne 2009 und suchte mit kreativen Ideen nach Unterstützern für Dietmar Bell. Im Vorfeld der Landtagswahl 2010 wurde Braun nun von der NRWSPD gefragt, ob er sich eine änhliche Arbeit auch für die Landtagswahl vorstellen könne. Drei konkrete Ideen wurden verfolgt: vom Supermarktverkäufer, über einen rasenden Reporter bis hin zum letztlich ausgewählten Restaurantbesitzer. Die Ideen seien zwar gemeinsam mit der SPD erörtert worden, doch seit dem genieße er völlige Freiheit, was seine Unterstützerkampagene angeht.

„Das ist schon enorm, nur wenige Parteien machen so etwas und sind so mutig, auf einen Teil ihres Einflusses zu verzichten.“

Die SPD wolle zwar natürlich wissen, was „mit ihren Namen passiert“, aber das ist für Braun nur verständlich. In allem anderen sei man aber völlig frei. Die NRWSPD gibt damit den Unterstützerkampagnen wieder mehr Freiheit und realisiert, dass so wertvolle Arbeit für ihren anvisierten Wahlerfolg auch außerhalb der eigenen Kapazitäten geschehen kann. Unterstützerkampagnen werden nicht mehr ignoriert oder ins eigene Team eingebunden, sondern als Ergänzung verstanden.